Darstellende Kunst – Mitglieder

Bernhard Minetti

Schauspieler

Am 26. Januar 1905 in Kiel geboren,
gestorben am 12. Oktober 1998.
Von 1980 bis 1993 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin (West), Sektion Darstellende Kunst.
Von 1993 bis 1998 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Darstellende Kunst.

Nachruf

Der Schauspieler Bernhard Minetti starb am 12. Oktober 1998 93jährig in Berlin. 1994 hatte ihn Heiner Müller ans Berliner Ensemble geholt. In seiner Inszenierung von Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui sollte er als Schauspieler dem angehenden Diktator das Auftreten beibringen.

Der Schauspieler:
Ich versteh Sie. Sie meinen den großen Stil.
Julius Cäsar, Hamlet, Romeo, Stücke von Shakespeare.
Herr Ui, Sie sind an den rechten Mann gekommen.
Wie man klassisch auftritt, kann der alte Mahonney Ihnen in
zehn Minuten beibringen. Sie sehen einen tragischen
Fall vor sich, meine Herren. Ich hab mich ruiniert
mit Shakespeare. Englischer Dichter. Ich könnte heute
am Broadway spielen, wenn es nicht Shakespeare gäbe.
Die Tragödie eines Charakters.


Wir beide spielten diese Rolle, den Schauspieler, alternierend, da Minetti - durch Krankheit bedingt - nur noch selten auftreten konnte. Dann aber fest, ja geradezu verbissen entschlossen, weiter Theater zu spielen, Kunst zu machen - für ihn das Synonym für Leben, zum letztenmal am 11. September im Ui. Auf seine intensive Weise hat er mehr als 70 Jahre lang Theater gelebt, war "Minetti" auf deutschen Bühnen und schließlich sogar in dem ihm gewidmeten Stück von Thomas Bernhard: Minetti - Ein Porträt des Künstlers als alter Mann. Minetti hatte einen unverwechselbaren eigenen Ton.
Wir begegneten einander zuerst 1938 in Fehlings Berliner Staatstheater-Inszenierung, in Shaws Frau Warrens Gewerbe.
Bernhard Minetti, 1905 in Kiel geboren, kam nach Germanistikstudien in München und Berlin 1925 an die Staatliche Schauspielschule in Berlin und lernte bei Leopold Jeßner. 1927 hatte er sein erstes Engagement in Gera. Von 1930 bis zur Zerstörung des Schauspielhauses 1944 spielte Minetti am Berliner Staatstheater, zuerst bei Jeßner, dann bei Gustaf Gründgens. Jeßner, Gründgens und dann vor allem Jürgen Fehling besetzten ihn in Rollen - wie Franz Moor, Mephisto, Marinelli und Robespierre -, die seinen Ruf als Charakterdarsteller begründeten.
Für seine Haltung im Dritten Reich gilt, was er selbst formulierte: "Ich wollte spielen". So lautete seine Erklärung. Sie hat für sein ganzes Leben gegolten.
Nach dem Krieg folgten Wanderjahre mit den Hauptstationen Kiel, Hamburg und Frankfurt sowie Gastspiele an vielen anderen Theatern. 1965 kehrte er nach Berlin zurück und wurde Mitglied in Barlogs Schiller- und Schloßpark-Theater-Ensemble, ohne - als zunehmend gesuchter Protagonist - auf attraktive Gastspiele zu verzichten. Als vor allem von einer aufbegehrenden Theaterjugend anerkannte und geschätzte Autorität begann Minetti eine eindrucksvolle Alterskarriere.
Höhepunkte waren: der zweifelnde, intensiv-leise Edgar in Strindbergs Totentanz in der Berliner Inszenierung von Rudolf Noelte 1972, die Zusammenarbeit mit Klaus Michael Grüber beim Hamlet 1982 an der Berliner Schaubühne als Erster Schauspieler, als durchdringender "Faust" in der Berliner Freien Volksbühnen-Inszenierung 1982, als verzweifelter "Lear" 1985 an der Schaubühne und als Puck in Hans Neuenfels' Inszenierung des Sommernachtstraums 1993 am Schiller-Theater.
Seinen schaurig-schönen und wilden Humor zeigte Minetti in Neil Simons Komödie Sonny Boys 1973 am Schloßpark-Theater, zusammen mit dem wunderbaren Martin Held, und als Erzähler von Grimms Märchen in Deutschland 1990 am Schiller-Theater.
In den 70er und 80er Jahren hat Thomas Bernhard seine "schwarzen Komödien" Macht der Gewohnheit, Minetti, Der Weltverbesserer, Der Schein trügt und Einfach kompliziert Minetti auf den Leib und in den Kopf geschrieben, und Claus Peymann hat sie in Stuttgarter und Bochumer Inszenierungen mit Minetti auf die Bühne gebracht.
Thomas Bernhard resümierte: "Diesen großen, wahrscheinlich größten spielenden und also lebenden und seinen Beruf und also seinen und unseren bühnendramatischen Wahnsinn verhexenden Schauspieler muß ich noch ausnützen, bevor er nicht mehr ausgenützt werden kann, diesen durch und durch elementaren Geistestheaterkopf. Wir haben in einem Jahrhundert nicht viele solche uns tatsächlich auf die Nerven gehenden Künstler!"
Minetti hat nicht nur schwierige Charaktere verkörpert, er war selber einer, und er war es mit aggressiver Lust. Ganz er selber war er auch in seiner Rolle als Akademie-Mitglied, das er seit 1980 war. So hat er 1995 dem Hause die große Feier zu seinem 90. Geburtstag abverlangt und genoß sie sehr. Bei den Sitzungen sah man ihn in steter, hartnäckiger Erwartung großer, wichtiger von der Akademie ausgehender Dinge, und er war dann sehr enttäuscht, ja entgeistert, wenn sich nichts dergleichen zu ereignen schien.
Ihn selbst zeichnete hohe professionelle Neugier aus. Er ging viel ins Theater, analysierte sofort und genau und bemerkte treffsicher junge Talente. Die Schließung des Schiller-Theaters, seines Theaters über viele Jahre, hat er mit allen Kräften zu verhindern gesucht.
Bernhard Minetti ist nun tot. Der Schauspieler im Ui beendet seine Unterweisung mit den Worten aus Shakespeares Julius Cäsar: "Ihr alle liebtet ihn einmal - nicht grundlos! Was für ein Grund hält euch zurück, zu trauern?"

Marianne Hoppe