Bildende Kunst – Mitglieder

Bruno Goller

Maler

Am 5. November 1901 in Gummersbach/Rheinland geboren,
gestorben am 29. Januar 1998.
Von 1967 bis 1993 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin (West), Sektion Bildende Kunst.
Von 1993 bis 1998 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Bildende Kunst.

Nachruf

Bruno Goller war 66 Jahre alt, als er 1967 in die Akademie der Künste am Hanseatenweg gewählt wurde. All diese 31 Jahre lang hat er nicht ein einziges Mal an einer Mitgliederversammlung teilgenommen. Im Grunde genommen bleibt es erstaunlich, daß er überhaupt gewählt wurde. Es muß wohl eine glückliche Fügung gewesen sein, daß er - vielleicht wegen der großen Ausstellung 1966 in der Düsseldorfer Kunsthalle - den Mitgliedern ins Blickfeld geraten war; und es spricht für deren genaue Sensibilität und Aufmerksamkeit, ihn in ihren Kreis aufgenommen zu haben. Danach ist er aber auch in diesem Hause gleich wieder weitgehend in Vergessenheit geraten.
Darüber muß Bruno Goller sehr froh und erleichtert gewesen sein. Denn nichts fürchtete er mehr als öffentliches Aufheben um seine Person. Und seine Bilder waren, bis auf ganz seltene Ausnahmen, so schlecht wie nie zu sehen.
Man braucht keine Hand, um die Bilder zu zählen, die sich in öffentlichen Sammlungen befanden. Daran hat sich - abgesehen von der umfangreichen Sammlung Wasmuth im Bahnhof Rolandseck - bis heute kaum etwas geändert. Selbst die wenigen Museen, die Bilder von ihm besitzen, zeigten und zeigen sie höchst selten, weil sie sich ganz und gar nicht in einen Zusammenhang einfügen wollen. Es war Gotthard Graubner, der 1980 in unserer Abteilung anregte, Goller doch zu dessen 80. Geburtstag in diesem Hause mit einer Ausstellung zu ehren. Die Absage - telefonisch, Goller war jemand, der äußerst selten Briefe schrieb - kam prompt. Dennoch empfing er mich damals dank Graubners Vermittlung in seinem Düsseldorfer Atelier. Unsere vereinten Überredungskünste wurden mit größter Sanftheit, aber unerschütterlicher Entschiedenheit zurückgewiesen. Es tat fast weh zu erleben, wieviel Not wir ihm mit unserer Absicht bereiteten, ihn zu ehren. "Sie müssen das bitte verstehen", sagte er. "Stellen Sie sich vor, meine Bilder sind in Berlin, und ich müßte sterben. Ich kann doch nicht ohne meine Bilder sterben! Die muß ich um mich herum haben." Aus dieser Begegnung entstand eine meiner kostbarsten Freundschaften.
Es ist bezeichnend für Goller, daß ausgerechnet ein Maler wie Gotthard Graubner, der mit seiner gestisch-abstrakten Malerei, der Monochromie seiner schwebenden Farbraumkörper, doch Welten von den fundamental dingverhafteten Bildvorstellungen Gollers entfernt scheint, daß ausgerechnet Graubner sich so vehement für eine Ausstellung von ihm eingesetzt hat. Es ist die meditative, nachsinnende, nachhorchende Haltung, die beide verbindet, dieses so leicht zu zerstörende Einssein und deswegen fast angstvolle und gläubige Zärtlichsein mit der Welt, dieses Festliche, die Aureole des Geistigen.
Bruno Goller war "einer der großen Stillen im Lande", wie Werner Schmalenbach, sein früher und bedeutendster Interpret, von ihm sagte. Am 5. November 1901 in Gummersbach geboren, hat Goller nahezu drei Generationen miterlebt. Immer ist er ein Unzeitgemäßer gewesen - stand er als Person und mit seiner Malerei außerhalb der Zeit. Geboren im Kaiserreich, verbrachte er die Lehr- und Wanderjahre seiner Jünglingszeit in der Unruhe und Ungesichertheit der Weimarer Republik. Als seine knappen und, wie sich später erweisen sollte, höchst folgenreichen Entwürfe seines künstlerischen Standorts geklärt und abgesteckt waren, da brach der Kunstterror des Nationalsozialismus in Gollers zerbrechliche, schutzlose Welt des Geistes ein. Für rund sieben Jahre entstand kein Bild mehr. Der Krieg sah ihn in Frankreich; unter Bomben verbrannte in Düsseldorf bis auf wenige Arbeiten sein gesamtes Frühwerk. Erst Ende der vierziger Jahre konnte er neu beginnen. In der Mitte seines Lebens also setzte er das gewaltsam unterbrochene Werk mit staunenmachender Konsequenz fort, ohne die von der Zeit grausam geschlagenen Brüche zu übertünchen. Von all den künstlerischen Entwürfen unseres Jahrhunderts aber finden wir nichts in seinem Werk.
So sehr sich Gollers Bilder stilistisch und thematisch ganz und gar außerhalb der Zeit halten, so ist in ihnen doch auf eine zeitlose Art, in viel umfassenderem Sinne, Zeit anschaulich aufgehoben. Allein schon über die dargestellten Dinge scheint, quasi objektiv, ein Zeitbezug immer gegeben. Denn irritierenderweise ist auch für den Betrachter, der Gollers Kunst zum ersten Mal begegnet, sofort spürbar, daß es sich um Erinnerungsbilder handelt, die im ganz Persönlichen, Privaten angesiedelt sind. Zeit-los sind sie aber nicht allein deswegen, weil in ihnen Vergangenes als Gegenwärtiges vorgezeigt wird. Denn es handelt sich hier nicht um eine Kunst der Nostalgie, die sich damit begnügte, in melancholischer Heiterkeit einer verlorenen Zeit nachzusinnen. Gollers Bilder leben von der ganz eigentümlichen, beunruhigenden Präsenz ganz weniger auserwählter Dinge mit sehr privatem, intimem Charakter, die über viele Jahrzehnte in mannigfacher Gestalt auftreten und doch immer sich selbst gleich bleiben. Sie alle haben ihre zeitliche Verwurzelung in der Kindheit des Künstlers, der in Gummersbach aufwuchs, wo seine Mutter ein Putzmachergeschäft hatte. Doch er war - um noch einmal Werner Schmalenbach zu zitieren - kein "Traditionalist, kein konventioneller Maler von Figurenbildern und Stilleben, sondern ganz im Gegenteil: eine moderne Erscheinung, auch wenn nicht in die Aktualität passend. Weil seine Gegenstände nicht bloß abgemalte Gegenstände waren, sondern sehr seltsame Dinge ... Hüte, Schirme, Katzen, Wandspiegel, Wanduhren, Tassen, - aber befremdlich, sonderbar, seltsam; gar nicht besonders abstrus oder absurd, aber insgeheim beunruhigt, von seiner eigenen Unruhe gestört, verstört, und doch schlechtweg Dinge, sogar banale Dinge. Auch Menschen, Frauen, Mädchen; trotz aller Scheu auch Akte - Und dann etwas besonders Abwegiges: Zahlen, die groß im Bild stehen: eine Eins, eine Vier, eine Sieben. Und eine noch seltsamere Obsession: große, bildfüllende Ohren ..."
Der Ort dieser eigentümlichen Bilderwelt heißt Gummersbach. Sowenig dies sprichwörtlich gemeint ist, so genau ist sie in diesem Ort auf den Begriff gebracht. In dieser kleinstädtischen Welt verlebte er seine behütete, aber nicht gefahrlose Kindheit, die überschattet war vom frühen Verlust geliebter Menschen, des Vaters, seiner Schwester, schließlich seiner Mutter. Als er 22 war, stand er allein. In die Welt hinausgehen hieß mehr für ihn als für die damaligen Verhältnisse: einzelne Besuche in Köln und dann das Fußfassen in Düsseldorf, im Kreise der Künstler um die legendäre Mutter Ey. Oberflächlich gesehen, ist er in seinem zurückgezogenen Leben nie über Gummersbach hinausgekommen, auch wenn er nach seinem Weggang nur noch ganz selten und in den letzten Jahrzehnten überhaupt nicht mehr dort war.
Im März 1924 hat Bruno Goller mit Freunden, die ihn überredet hatten, die einzige weite Reise seines Lebens gemacht - nach Italien; über Mailand, Rom, Neapel, Palermo, schließlich Capri. Im Februar des darauffolgenden Jahres erst kehrte er nach Gummersbach zurück. In Palermo, erinnerte er sich, hat er die byzantinischen Mosaiken von Monreale gesehen. Vier Jahrzehnte später dringt das Gesehene in seinen Bildmitteln durch. Hier finden wir die tiefen Wurzeln seines ganz persönlichen "Byzantinismus", hier erfahren wir, woher seine Bilder ihren ganz alten Klang beziehen, warum sie bisweilen wie auf Goldgrund gemalt scheinen, auch wenn Braun, Ocker, Grau, Schwarz und dann plötzlich ein sonores Lila, ein singendes Orange-Rot und ein schimmerndes Weiß seine bevorzugten Farben sind; aus dem "Byzantinischen" erhält das auch Dekorative seiner Bilder, seine Liebe zum Ornamentalen, den festlichen Ton; hier liegt das Geheimnis, weshalb sich die banalen Dinge auf seinen Bildern in eine emblematische Heraldik zu kleiden vermögen - oder warum ein weiblicher Akt eine Schneiderpuppe aus Gummersbach ist, die zugleich wie eine zeitlose Kore erscheint.
Hier zeigt sich ein weiteres Mal das für Goller so prägende Verhältnis zur Zeit; zur Zeit, die er den Dingen immer gegeben hat, um zum Bild zu wachsen. Er konnte dies, weil er der Zeit immer auch den gewißheitlichen Ort gab. Einmal wurde er von Volker Kahmen - seinem zweiten großen Interpreten - nach den Deutungsmöglichkeiten seiner Katzenbilder befragt. Der Verweis auf den ägyptischen Katzenkult "schien ihm zu gefallen. Doch schränkte er diesen Hinweis auf seine Kunst in der ihm eigentümlichen Art ein, indem er korrigierte: "Ägypten, ja, aber in Gummersbach"".
Fünf Jahre nach Gollers Absage an die Akademie durfte ich 1986 doch noch eine große Ausstellung seiner Bilder machen, zum 85. Geburtstag in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Aber auch da hat er mir ein Versprechen abgenommen, und mit einem langen Handschlag wurde es besiegelt: Ginge es ans Sterben, würde er mit Blaulicht direkt in die große Ausstellungshalle am Grabbeplatz gefahren werden. Ihm waren noch fast zwölf Jahre geschenkt - die nicht nur vom biblischen Alter belastet waren, sondern auch vom Tod seiner geliebten Elsbeth, die mit zärtlicher Entschiedenheit fast 60 Jahre die Unruhe der Welt von ihm fernhielt, weil sie selbst freudig mitten im Leben stand. Goller hat all diese Jahre weitergemalt, in seiner stillen, sehr langsamen - wie er das nannte: - "simulierenden" Art. Sein 90. Geburtstag wurde ebenso wie sein 95ster mit großen Ausstellungen von Johannes Wasmuth im Bahnhof Rolandseck gefeiert; allerdings aus Wasmuths eigener Sammlung, ohne Leihgaben von Goller, der sich auch dazu nicht von seinen Bildern trennen mochte. Freunde aus aller Welt - von Moskau bis Südamerika - schrieben für diesen letzten Katalog, für den Weltbürger aus Gummersbach.
Am 29. Januar 1998 ist Bruno Goller inmitten seiner Bilder in Düsseldorf gestorben.

Jörn Merkert