FORUM • DOKUMENTATIONEN

Klaus Staeck
Treppenrede zur Langen Nacht der Akademie der Künste, 9.5.2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde der Akademie der Künste,

auch als Freund von etwas schiefen Bildern sage ich: Conny Bauer hat die Posaune zur Fanfare gemacht, mit der er die neue Amtszeit eingeblasen hat.
Vor wenigen Stunden hat die Akademie ihren Beitrag zum Superwahljahr geleistet.
Eine internationale Beobachterdelegation war nicht von Nöten, mehrere Wahlgänge nicht erforderlich, zu tätlichen Auseinandersetzungen kam es nicht.
Gewählt wurden mit jeweils überzeugenden Mehrheiten ein Präsident, eine Vizepräsidentin, sechs Direktoren und ihre Stellvertreter und…..neue Mitglieder.

Frisch wiedergewählt stehe ich nun hier, wohl wissend, dass die zweite Amtszeit aus vielerlei Gründen schwieriger werden wird.
Zwar wird die Akademie im Blick von außen wieder durchweg positiv wahrgenommen, aber noch nicht häufig genug gehört.
Vielleicht sollten wir von unseren Singvögeln lernen.
Sie krakeelen immer lauter, um sich dem Lärm der Großstädte anzupassen.
So singen die Nachtigallen in der Nähe von Autobahnen schon um bis zu 14 Dezibel lauter.
Wir werden umworben als Kooperationspartner und sind begehrt als Veranstaltungsort mit unseren beiden Häusern.

Ich habe stets den Pariser Platz 4 als den politischen Ort, den öffentlichen Raum per se verteidigt. Inzwischen rückt seine endgültige Funktionstüchtigkeit auch erfreulich näher.
Den gesetzlichen Auftrag zur Politikberatung nimmt die Akademie auf vielfältige Weise wahr: vor allem durch öffentliche Erklärungen und Veranstaltungen, Gespräche mit Regierungsvertretern und Abgeordneten, aber auch gezielte Interventionen, wenn es um den Erhalt wertvoller Bausubstanz geht.
Im Zentrum politischer und damit auch medialer Aufmerksamkeit stehen die von mir ins Leben gerufenen Akademiegespräche zu Themen wie dem Urheberrecht, Finanzierung der Goethe-Institute, das System Mafia und dem Datenkraken Google, Diskussionen zu Integration, Kultur in den Medien, bis zu Fragen über das Leben und das Recht auf den eigenen Tod, sowie jüngst der internationalen Ächtung der Todesstrafe.
Zusammen mit dem Auswärtigen Amt gab es eine große Veranstaltung mit vier Nobelpreisträgern zur Zukunft Europas.
Mit dem Projekt KUNSTWELTEN gehen wir mit unseren Mitgliedern in kulturell eher benachteiligte Regionen, um hauptsächlich mit Schülern zu arbeiten.
So waren wir zum wiederholten Male in Bitterfeld/Wolfen, waren in Brandenburg, Halberstadt und zuletzt in Anklam und Umgebung.
Diese wichtige Arbeit werden wir fortsetzen, denn auch das langsame Verschwinden der Demokratie ist mancherorts schon zu befürchten. Und die Krise wird die ohnehin oft stark vorhandenen antidemokratischen Signale noch verstärken.

Unabhängig davon, was jedes einzelne Mitglied künstlerisch leistet und bewegt – die Akademie als Institution fühlt sich nach wie vor der Aufklärung, sowie der Verteidigung der Kunst und der Meinungsfreiheit verpflichtet.
Nach Kant heißt das: von der Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.
Denn, so Adolf Muschg während einer Diskussion am Pariser Platz: "Der Rückzug auf den aggressiven Stumpfsinn ist hochgefährlich".
Deshalb streitet die Akademie für die Erweiterung des öffentlichen Raumes, jenen Raum in dem sich die Demokratie erst entfalten kann.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit aber dennoch erwähnenswert: Die Politik hat die Autonomie der Akademie stets respektiert. Es hat während meiner Amtszeit keinerlei Versuche einer direkten oder indirekten Einflussnahme gegeben. Ich gehe davon aus, dass das so bleibt.
So bin ich mir jedenfalls bewusst, dass diese Akademie mit ihrer Autonomie vom neuerdings so viel zitierten gerupften Steuerzahler unterhalten wird.

Er, der Steuerzahler und sie, die Steuerzahlerin leisten sich uns. Nicht als kulturelle Wärmestube, sondern als Ort der Reflektion und der Auseinandersetzung, auch über wichtige gesellschaftliche Zusammenhänge.
Denn um unsere Gesellschaft steht es selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht gut. Nach meiner Überzeugung steht unsere Demokratie jetzt vor ihrer größten Bewährungsprobe.
Ja, wir müssen, vergleichsweise komfortabel ausgestattet wie wir sind, noch mehr tun.
Die raue Wirklichkeit duldet keine Inseln der Seligkeit mehr, auch wenn die Politik immer noch zögert, energisch genug gegen die Zusammenrottung illegalen Kapitals in so genannten Steuerparadiesen vorzugehen.
Denn sie sind die wahren Piratennester jenseits der somalischen Küste.

Meine letzten Treppenreden haben sich, ausgelöst durch eher bescheidene Waffenfunde in unserem Archiv, mehr oder weniger ironisch mit der Möglichkeit einer Revolution befasst.
Und jetzt, da nun durch die kriminellen Machenschaften die neoliberalen Wirtschaftsideologen unseren Staat ganz real in die Nähe des Staatsbankrotts geputscht haben, diskutieren wir ausufernd ganz deutsch, ob nun der Mauerfall vor 20 Jahren eine Revolution, eine Revolte oder doch nur eine schlichte Wende war.
Wenn nun aber schon die FAZ den greisen Revolutionär Mikis Theodorakis Hilfe suchend fragt: "Wogegen sollen wir revoltieren, Herr Theodorakis?" scheint es um die deutsch-deutsche Idylle endgültig geschehen.
Zu spät also für die Mehrheit jener Deutschen, die sich laut einer Umfrage von der Konsumgesellschaft abwenden und lieber in die Wohlgefühlgesellschaft einschmusen wollen.
Erleben wir doch gerade den Schritt von der sozialen, über Auswüchse einer asozialen in die sozialistische Marktwirtschaft.
Die Banker als Avantgarde der Bewegung: Trümmer schaffen ohne Waffen.
Viele von ihnen haben sich so verhalten wie sie sich die Arbeit der Künstler vorstellen: Sie haben Phantasieprodukte entwickelt, jenseits jeder Realwirtschaft. Und so war es selbstverständlich, dass mit den wuchernden Derivaten und Leerpapieren auch der Kunstmarkt boomte wie nie zuvor.
Beide glichen kommunizierenden Röhren.
Nun, da die Blase zur Pusteblume wurde, ist alles vom Winde verweht.
Und was machen nun die Künstler? Sie stehen wie so oft ratlos staunend am Wegesrand, winken traurig den fliehenden Sponsoren hinterher und lernen Vater Staat neu zu schätzen, der bisher die öffentliche Kulturförderung nicht in Frage stellt. Jedenfalls solange nicht, bis die Steuer- Euros nicht völlig zur Bewältigung der Finanzkrise aufgefressen werden.
Jene Bankrotteure, die bisher alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, den verhassten Staat zu schwächen – der Markt sollte ja bekanntlich alles besser regeln – sie sind nun die ersten, die nach eben diesem Staat rufen.
Denn um die Finanzökonomie im Interesse der Bevölkerung zu stabilisieren, zwingen sie den Staat, sein letztes Hemd zu verpfänden.
Im Sinne ihrer Ideologie sind die Neoliberalos selbst im Niedergang noch ungewöhnlich erfolgreich, indem sie den Staat mit in den Abgrund ziehen.
Aus der Finanzkrise ist längst eine soziale und Vertrauenskrise geworden.
Und die Mehrheit der Deutschen reagiert auf das Ungeheuerliche so rat- und hilflos auch deshalb, weil sie sich das Politische erfolgreich abtrainiert haben und haben abtrainieren lassen.
So ist man auch machtlos gegenüber einer neuen Skrupellosigkeit, die selbst die schärfsten Kritiker sprachlos macht. So, wenn die Manager jener Hypo Real Estate ihre Weiterbeschäftigung mit Millionengehältern einklagen, während sie gerade Milliarden zu Lasten der Allgemeinheit versenkt haben. Und die Vorstände der maroden Dresdner schnell noch 58 Millionen einstreichen. Von sittenwidrigen Verträgen und Vertragsklauseln haben ihnen ihre Anwälte offenbar noch nichts gesagt.
Ein Rechtssystem, das derartiges am Ende noch für rechtens hält, hat sich weitgehend selbst aufgegeben. Mit Bad Banks zu Lasten der Allgemeinheit allein ist der Krise jedenfalls nicht beizukommen. Wer vorher gezockt und betrogen hat, tut es auch weiter. Nur künftig auch noch mit der Rückversicherung, auf das Geld der tumben Steuerzahler jederzeit zurückgreifen zu können.
Der Jesuit Friedhelm Hengsbach hat schon recht, wenn er behauptet, dass derzeit nur an der Sanierung des Bestehenden gebastelt wird. Wenn das Flickwerk beendet ist, geht alles weiter wie gehabt. Denn längst arbeiten die alten Kader an einem neuen Comeback mit anderen toxischen Produkten. Ein paar hilfswillige Politiker werden sich allemal wieder finden lassen, die den einschlägigen Lobbyisten die Türen zu den Ministerien öffnen werden.
Auch wenn der Christdemokrat Ole von Beust kürzlich fragte: "Und was ist mit dem Kapitalismus?", um gleich zu antworten: "Leider ist auch diese Idee gescheitert", sagt das noch gar nichts, solange keine überzeugende Alternative in Angriff genommen wird.
Unser ehrenwertes Mitglied Joachim Herz schrieb mir jetzt: "Den Kapitalismus liebe ich so, wie eine gerupfte Gans den liebt, der sie rupft".


Der entfesselte Wettbewerb ist die Ursache der kulturellen Krise: Eigennutz geht vor Gemeinnutz. Selbst Städte und Gemeinden haben sich hoch verschuldet, indem sie die ihnen anvertrauten öffentlichen Güter im internationalen Kasino als Spielgeld eingesetzt haben.
Alles in Wettbewerbskategorien zu messen, hat unsere Gesellschaft von innen zerfressen.
Da wäre es schön, den Primat der Politik über den Markt wenigstens in Teilbereichen wieder herzustellen.
Die zunehmende Ungerechtigkeit wird sich rächen, auch wenn ein TU-Professor für Medienwissenschaft im Tagesspiegel jetzt zu beweisen suchte: "Die soziale Gerechtigkeit macht den Menschen unmündig".

Derweil leistet sich unsere Boni-, Bambi-, Bunte- und BILD-Gesellschaft in Herz zerreißenden TV-Sendungen ein Herz für Kinder, von denen es laut Ministerin von der Leyen erst mehr aber nun doch wieder weniger gibt.
Die niederen Ränge oder C- bis Z-Promis plagen sich völlig enthemmt schamlos in Dschungelcamps zur Schadenfreude eines enthemmten Publikums mit Würmern, Käfern und dergleichen ab.
In all dem Gebalge um Millionen und Milliarden rückt eine Frage immer mehr ins Zentrum der Begierde: Was und wer ist alles "systemrelevant".
Könnte die Akademie, sollte es wider Erwarten hart auf hart kommen, mit der Hypo Real Estate um dieses Attribut konkurrieren?
Muss man erst völlig überschuldet sein, um in dieser Kategorie gelistet zu werden?

Es bleibt dabei: die beiden großen globalen Probleme sind die wachsende Armut in der Welt und die bedrohliche Gefährdung des Klimas.
Alles andere rangiert darunter oder ist deren unmittelbare Folge
Den allgemeinen Weltrettungserwartungen, die mit meiner Wahl vor drei Jahren verbunden wurden, konnte ich bisher nur in äußerst bescheidenem Rahmen gerecht werden. Vorausgesetzt, die Welt ist überhaupt zu retten.
Die Zweifel wachsen bedrohlich. Jedenfalls lohnt es sich im Jahr der Astronomie schon mal nach neuen Galaxien Ausschau zu halten. Der Südwestdeutsche Rundfunk widmete diesem Jahresthema eine interessante Hörerbefragung.
Auf die Frage, wer dreht sich um wen, kam nur knapp die Hälfte auf die Idee, dass andere Planeten gemeint sein könnten. Der andere Teil bekannte unumwunden, dass wir uns nur um uns drehen.  Einige meinten, sie drehten sich nur um sich.
Sie haben einen Kronzeugen in meinem Malerkollegen Markus Lüpertz, der am 28. Februar in der „Welt“ bekannte: "Ich finde immer, die Welt dreht sich um mich".
So sind sie, die Künstler.

Zurück zur Akademie.
Viel Arbeit liegt hinter uns, noch mehr vor uns.
Zwei großen Schwerpunkten wollen wir uns nähern: der weiteren Entwicklung der Medien und deren Folgen für die Künste, sowie der weiteren Internationalisierung der Akademie.
Für den Herbst planen wir ein umfangreiches Türkei-Projekt, 2010 nähern wir uns Brasilien.
Wir setzen die erfolgreiche Beschäftigung mit dem Tanz in der Reihe „Politische Körper“ fort und bereiten das umfangreiche Projekt "Die Wiederkehr der Landschaft" vor.
Und zu meiner ganz persönlichen Freude eröffnen wir im Januar eine Ausstellung mit Arbeiten von George Grosz, die zum größten Teil aus der Kunstsammlung unseres wunderbaren, unerschöpflichen Archivs stammen.
Auch zum Thema 1989 werden wir eine Fotoausstellung mit integrierter Langer Nacht zeigen.
Es ist nicht verwunderlich, wenn anlässlich der nicht enden wollenden Veranstaltungen zur Erinnerung an den Mauerfall vor 20 Jahren auch die Vereinigung der Akademien Ost und West wieder verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät.
Heiner Müller und Walter Jens hatten an dieser Operation am offenen Herzen der Befindlichkeiten entscheidenden Anteil.
Heiner Müller haben wir kürzlich eine eindrucksvolle Lange Nacht gewidmet.
Vor unserem Ehrenpräsidenten, dem streitbaren liberalen Demokraten und verlässlichen politischen Partner bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit Walter Jens, verneige ich mich, auch im Namen der Akademie, in Dankbarkeit und Verehrung.
Er nannte übrigens das Zusammengehen beider Akademien gerne "das Anti-Treuhand-Modell".
Auch seine Treppenreden sind legendär und Maßstab für alle, die sich nach ihm auf die Treppe wagen.

Nun haben wir ja viele davon, vor allem im Gebäude am Pariser Platz.
An die verschiedenen Tritt- oder Stufenhöhen dort habe ich mich jedoch immer noch nicht gewöhnt.
Bevor ich nun diese Treppe sicheren Schritts verlasse, möchte ich allen Mitgliedern und Mitarbeitern danken, die zum Erfolg der Akademie in schwieriger Zeit beigetragen haben.
Und ich danke Ihnen allen, die sie voller Neugierde auf diese Lange Nacht gekommen sind.
Eine Mitteilung bin ich Ihnen noch schuldig.
Als das Allensbacher Institut knapp 1000 Deutsche nach den bedeutendsten Deutschen fragte, schaffte es Heinz Rühmann auf Platz 1.
Aber Platz 2 teilte sich schon unser Mitglied Vicco von Bülow, sprich Loriot, mit Franz Beckenbauer.
Günter Grass schaffte es nach fünf weiteren Sportlern und einem Talkmaster auf Platz 9.

Und das verheerende Wirken von Ranking-Agenturen ist von den Börsen nun auch auf die Bildende Kunst übergesprungen: seit einer Woche wissen wir endlich, welche 60 Kunstwerke die BRD (West) repräsentieren. Ihnen geschieht seit drei Wochen die höchste Weihe – sie werden Tag für Tag in der BILD-Zeitung abgedruckt.
Noch eine weitere Zahl: Das meist verkaufte Buch 2008 war mit einer Millionen- Auflage Charlotte Roche's Buch "Feuchtgebiete".
Gemeint sind nicht die natürlichen Sumpfbiotope, im dem sich Vögel wie der Zilpzalp heimisch fühlen.

Es gibt aber auch Erfreuliches in Sachen Kunst zu berichten.
Der Lektüre des Wissenschaftsteils der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung habe ich die frohe Botschaft der Hirnforschung entnommen, dass schöne Kunst gegen Schmerzen hilft, schlechte Kunst sie dagegen verstärkt.
Als schön wurden zum Beispiel Botticelli und Leonardo da Vinci eingestuft, was schlecht ist, wurde nicht erwähnt.
Als notorischer Bahnfahrer möchte ich zum Schluss noch von einem Erlebnis im  Speisewagen auf der Fahrt nach Berlin berichten.
Als ich mich beim Kellner wie üblich für seine Dienste bedankte, bekam ich zur Antwort: "Sie brauchen sich nicht zu bedanken, mein Herr! Ich mache meine Arbeit gern".
Ich hoffe, dass es mir gelingt, in der neuen Legislaturperiode der Akademie jedem jederzeit entgegen rufen zu können: "Ich mache meine Arbeit gern". Danke

(Stand 10.05.2009)