13.8.2009, 17 Uhr

Das große Solidaritätsgefühl – über Ozeane hinweg
Helene Weigel versendet Hilfspakete an notleidende Künstler in Nachkriegsdeutschland

Brief aus dem Heinrich-Mann-Archiv, Akademie der Künste

Die Nachricht von der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erreicht Helene Weigel und Bertolt Brecht in den USA. Das Wissen um die schlechte europäische Ernährungslage läßt die Sorge um Freunde und Verwandte virulent werden und veranlaßt Helene Weigel  bereits zwei Tage nach Kriegsende, erste Schritte zu deren Unterstützung einzuleiten. Schon im Oktober 1945 – somit noch vor der Gründung der Hilfsorganisation CARE und lange vor der offiziellen, im Juni 1946 erteilten Genehmigung der US-Regierung, Hilfslieferungen an Privatpersonen aufgeben zu dürfen – werden auf ihre Initiative erste Hilfssendungen nach Deutschland verschickt. Mehrere hundert Pakete sollen bis zu ihrer endgültigen Rückkehr nach Berlin im Jahr 1949 folgen. (mehr)

Als Teil der Sammlung Victor N. Cohen gelangte 2006 ein Konvolut von Dokumenten in das Bertolt-Brecht-Archiv, das erstmals den bemerkenswerten Umfang der Hilfsaktion erkennen läßt und detaillierten Einblick in deren Organisation gewährt. (mehr)  Das Material gibt sowohl Aufschluß über Art und Menge der aufgegebenen Pakete, als auch über den großen Kreis der Adressaten. Die Listen der Paketempfänger , sowie 79 erhaltene Paket-Quittungen zeigen, daß Helene Weigel bei weitem nicht nur Verwandte, Freunde und ehemalige Arbeitskollegen unterstützt hat, für die hier nur stellvertretend Brechts Bruder Walter Brecht, die Jugendfreunde Georg Pfanzelt und Otto Müllereisert, sowie die befreundeten Kollegen Johannes R. Becher, Herbert Ihering, Hans Tombrock und Anna Seghers genannt werden können. Bemerkenswert ist die große Anzahl ihr persönlich unbekannter Personen, die zum Kreis der Empfänger gehörten, wie beispielsweise die Malerin Hanna Fonk, der Maler Erwin Gerzymisch und die Bewegungskünstlerin Mieke Monjau. Die Witwe des 1945 im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten Malers Franz Monjau erweist sich als für die Paket-Aktion wichtige Kontaktperson, der die Koordination von Deutschland aus oblag. Ihre Briefe an Helene Weigel vermitteln neben wichtigen chronologischen Daten einen Eindruck von den Schwierigkeiten, denen diese privat organisierte, transatlantische Hilfsaktion unterworfen war. (mehr) Die 26 überlieferten Dankesbriefe der Empfänger zeichnen ein eindrückliches Bild der Lebensbedingungen im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit und zeugen von dem Versuch, auf dem Koordinatenkreuz von Verlust, Hunger und materieller Not die Hoffnung nicht zu verlieren, nach vorne zu blicken, Arbeitsmöglichkeiten zu prüfen. Sie machen auch deutlich, daß die Pakete mehr bedeuteten als die rein materielle Hilfe. Die Erfahrung praktischer Solidarität und die damit verbundene Versicherung, nicht vergessen zu sein, wirkten moralisch aufbauend und gaben den Empfängern der Hilfssendungen neuen Lebensmut. 

Dorothee Aders

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