30.11.2012, 11 Uhr

Stolpersteine am Hanseatenweg 10
zur Erinnerung an deportierte jüdische Bewohner

Im Haus Brückenallee Nr. 6, dem heutigen Standort der Akademie am Hanseatenweg 10, lebten vor ihrer Deportation Elli Abrahamsohn und Dr. Käthe Lewy. Foto Manfred Mayer

Zur Verlegung von Stolpersteinen im Hansaviertel am  28. November 2012


Hans Gerhard Hannesen, Präsidialsekretär der Akademie der Künste, dankte bei einer Veranstaltung in der Hansabibliothek den Initiatoren

Die Vertreibung und Ermordung der Juden ist der tiefste moralische Einbruch in unserer Geschichte. Immer hat es Kriege, Verfolgungen, Unterdrückungen gegeben. Doch die ältere Geschichte kennt keine rassistischen Begründungen für Mord. Eher sind es religiöse Unterschiede, die zu Gewaltanwendungen führen. Und die religiöse Überzeugung, den wahren Glauben zu besitzen, geht einher mit wirtschaftlicher Ausgrenzung Andersgläubiger, denen man auch nach einer Konvertierung misstraut. Von den protestantisch-katholischen Ausein-andersetzungen in Irland bis zu den Kämpfen der Schiiten und Sunniten in den arabischen Ländern, ist die religiöse Begründung für Gewalt leider weiter auf der Tagesordnung. In allen damit verbundenen Machtstrukturen fühlt sich jedoch die jeweilige Machtelite für den Schutz ihrer Bürger, ihrer Untertanen, verpflichtet.


Bei der Entstehung des modernen, laizistischen Staates war klar, dass das staatliche Monopol der Gewaltanwendung allein dem Schutz seiner Bürger zu dienen hat, und zwar aller seiner Bürger, gleich welchen Standes, welcher Religion, welcher Rasse – wobei der letzte Begriff auch der jüngste ist, der zur Abgrenzung von anderen ins Bewusstsein tritt, allerdings mit solcher Macht, dass er seither zur Begründung von Sklaverei und Kolonisation aber auch unter dem Vorwand des Völkerrechts – der „Selbstbestimmung der Völker“ - zu entsetzlichen Verbrechen missbraucht wurde, denn ethische Minderheiten gibt es überall.

Allein die Menschenrechte sind universell und fordern für jeden Menschen das Recht, dort frei und ungehindert zu leben, wo er nun einmal lebt. Sie könnten einmal – auch wenn die absolute Erfüllung vielleicht Utopie bleiben wird - die moralische Begründung für ein vereintes Europa bilden und Vorbild für andere Kontinente sein.


Dass aber der Staat, statt seine Bürger zu schützen, einen Teil von ihnen sämtlicher Rechte beraubt, sie ausplündert, sie zu Arbeitssklaven macht und sie schließlich ermordet, ein Staat, der für sich gleichzeitig beansprucht, das Erbe deutscher Kultur- und Geistesgeschichte in die Zukunft zu führen, ein Staat, der den Hass auf vor allem die jüdische Minderheit, aber auch auf Roma und Sinti und auf Homosexuelle zum Gesetz macht und in allen eroberten europäischen Ländern anwenden lässt, ein Staat, der der Wahnvorstellung folgt, eine deutsche Herrenrasse züchten zu können, die über den übrigen Ländern Europas regiert, ein solcher Staat ist eigentlich unvorstellbar monströs und hat doch existiert:  mit Berlin als seiner Hauptstadt und unseren Vorfahren als seinen Bürgern.


Doch wir wollen heute jedem seiner Opfer gedenken, ihm den Namen zurückgeben, den er oder sie im KZ gegen eine eintätowierte Nummer tauschen musste. Wir wollen uns an das unendliche Leid erinnern, dass unseren Mitbürgern angetan wurde, beginnend von den ersten rechtlichen Ausgrenzungen, Stigmatisierungen und Demütigungen bis hin zu den Deportationen und Ermordungen.


Die Stolpersteine sind ein berührendes Erinnerungszeichen, denn wir treffen sie mitten auf den Straßen und Plätzen unseres Alltagslebens an. Wir lesen die Namen und das Geburts- und Todesdatum:
Wer wird dieser Mann gewesen sein, der, so alt wie ich heute – aus seiner Wohnung abgeholt und  zu einem Sammeltransport geführt wurde, um dort in einen Güterwagen der Reichsbahn mit zahllosen verängstigten und geschwächten Leidensgenossen gezwängt zu werden. Wie haben die Nachbarn bei seiner Deportation reagiert? Haben sie zugesehen, vielleicht hinter der geschlossenen Gardine, oder auch mit offenem Hass Flüche ausstoßend, auf die zu reagieren für das Opfer sinnlos gewesen wäre. Was geschah mit der Wohnung. Gab es vielleicht schon einen Nutznießer, der sich während des Krieges auf den Einzug freute? Was geschah mit der Einrichtung, den Möbeln, dem Hausrat, den kleinen Gefühlswerten, Briefen, Schmuck, Erinnerungen an einen Ferienaufenthalt?


Vieles wurde im Laufe der Jahre durch Geschichtswerkstätten und Historiker erforscht. Was wirklich geschah, können wir nur vermuten. Dabei liegen die Ereignisse noch nicht wirklich lange zurück.

Wenn wir in uns dringen, so werden wir immer unsicherer in unserem Bemühen, die Ereignisse zu verstehen. Die blanken Tatsachen, ja, die verstehen wir. Doch wir wissen nicht, wie wir selbst als Opfer oder auch als Täter reagiert hätten. Alle Extreme sind im Menschen angelegt. Was  wir aber wissen, ist, dass wir alles dafür tun müssen, dass nie wieder ein solcher Zivilisationsbruch möglich sein wird. So etwas lernt man nicht wie mathematische Formeln oder Vokabeln. Echte Empathie entsteht durch Wissen. In diesem Sinne ist die lebendige Auseinadersetzung mit der Vergangenheit eine wesentliche Voraussetzung für den verantwortungsvollen Umgang mit rassistischen und gewalttätigen Strömungen, die es in der Gegenwart gibt und wahrscheinlich auch in der Zukunft geben wird. Die Stolpersteine sind daher nicht nur Gedenksteine an verfolgte Menschen, sondern sie mahnen uns mitten im Alltag an die Notwendigkeit, wachsam zu sein und mit Zivilcourage Unrecht anzuprangern.


Ich bin daher allen, die sich für die Verlegung der Stolpersteine  im Hansaviertel engagiert haben sehr dankbar, ein Dank, den ich auch im Namen der gesamten Akademie der Künste aussprechen darf. 




Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Im Beisein von Klaus Staeck und Mischa Ullman (rechts) verlegte Gunter Demnig zwei Gedenksteine vor dem Eingang des Akademiegebäudes. Foto Manfred Mayer

Von Hans Gerhard Hannesen

zurück zur Übersicht