8.10.2013, 16 Uhr

Akademie der Künste trauert um Patrice Chéreau

© Ros Riberas

Patrice Chéreau war als Schauspiel-, Opern- und Filmregisseur einer der wichtigsten Künstler Europas.
Er spielte auch selbst, schrieb Drehbücher und war lange Jahre Theaterleiter, dazu ein dezidiert linkspolitisch denkender Mensch. Die Vielfalt seines Talentes war so verblüffend wie die Klarheit, mit der er die formalen Besonderheiten der Genres, in denen er sich künstlerisch bewegte, erkannte und achtete.
Das Grenzüberschreitende seiner Arbeit lag in der Radikalität seiner Erzählweise und seiner Themen: darin, wie er menschliche Beziehungen bis ins Unsagbare erforschte oder die Triebkräfte gesellschaftlichen Funktionierens offenlegte.
Filme wie Die Bartholomäusnacht (1994) oder Intimacy (2001) und Inszenierungen wie Wagners Ring-Tetralogie zur Hundertjahrfeier der Bayreuther Festspiele (mit Pierre Boulez, 1976) waren sowohl für die Fachwelt als auch fürs Publikum Meilensteine.
Zu den zahlreichen Auszeichnungen des 1944 im nordwestfranzösischen Lezigné geboren und in Paris aufgewachsenen Künstlers zählen vier Molière-Theaterpreise, der Jurypreis des Festivals in Cannes, ein Goldener und ein Silberner Bär in Berlin und der Europäische Theaterpreis in Thessaloniki.
Im Rahmen einer großen Hommage an das Schaffen des 2003 in die Akademie der Künste gewählten Regisseurs sagte Ivan Nagel im Jahr 2007 über die Arbeiten von Patrice Chéreau:

„Ich verdanke ihm die Rechtfertigung eines großen Teiles meines Lebens. Das Theater, das ich als Zuschauer in fast 40 Jahren von ihm geschenkt bekam, hat mir jedes Mal neu bewiesen, dass es einen Sinn hat, Theater zu machen. Diese Abende, über Edward Bonds Lear, Marivaux’ Streit, Wagners Ring, Wedekinds und Bergs Lulu bis zu Koltès’ Baumwollfelder und Racines Phèdre, waren mit nichts vergleichbar, einschneidend in das Glück und Unglück der Menschen. Ihre Leidenschaft und ihre Dialektik brannten sich einem in die Augen ein, ins Gehirn und in die Eingeweide. Patrice Chéreau wählte als Theatermacher zu seinem Lebensthema die fundamentale und deshalb unvergängliche Tatsache unserer Existenz, dass der Mensch in Mann und Frau geteilt ist und dass er, wie das Märchen des Aristophanes in Platons Gastmahl sagt, sein ganzes Unglück und Glück an dieser Kluft hat.“

Am gestrigen Montag, wenige Wochen vor seinem 69. Geburtstag, ist Patrice Chéreau in Paris gestorben. Die Akademie trauert um einen existenziell beglückenden und existenziell erschütternden Künstler von Weltrang.


Klaus Staeck
Präsident der Akademie der Künste


Nele Hertling
Vizepräsidentin der Akademie der Künste

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