Documentary Credit – Filme von Eran Schaerf und Eva Meyer Käthe-Kollwitz-Preis 2013

Film und Gespräch

„Ich sage es jetzt einmal so in die Gegend: Diese Filme sind eine neue Art Schrift.“
Elfriede Jelinek

Sechs Filme von Eran Schaerf und Eva Mayer stehen begleitend zur Schaerfs Akademie-Ausstellung "Disorder of Appearance" auf dem Programm. Zwischen dem ersten und zweiten Block findet das Gespräch der Künstler mit Hanne Loreck statt.

17 Uhr

Pro Testing
2010, 12 Min., HD-CAM, Farbe, Stereo, Englisch.

Handelt es sich um eine Demonstration? Oder wird der Filmdreh selbst zu einer Demonstration, zu einer Vorführmaschine nicht eines Ereignisses, sondern seiner Bilder? Marcel Broodthars’ „Reise in die Nordsee“ verlängert sich über das Mittelmeer und ein Dorf auf der Westbank, um auf einem städtischen Platz zu enden und neu anzufangen: Eine Demonstration, die sich auf ein Ereignis bezieht (Gaza-bound Aid Flottila, 31.5.2010), indem sie es mit einem (Schiffs)modell vorführt (Bil’in, 4.6.2010), wird selbst wiederaufgeführt mit den Bildern, die von den Nachrichtenagenturen verteilt werden, doch nicht ohne eine Verzögerung durch den demonstrativen Akt des Zeigens. Es gibt keine Instanz, die eine formale Einheit des Ganzen bewerkstelligen kann. „Bateau, tableau, drapeau“ (Schiff, Bild, Fahne) sind nicht nur ihrem Klang nach leicht zu verwechseln. Der Betrachter ist deshalb dazu aufgerufen, ihre Interaktionen zu testen.


Europa von weitem
1999, 74 Min., DV, Farbe, Stereo, Deutsch. Komposition: Inge Morgenroth

In einer Ausstellung koptischer Kunst in Paris begegnen sich Frauen wieder, die zu Minoritäten in Ägypten gehörten und inzwischen in die Welt verstreut sind. Zwischen dem Nahen Osten und Amerika, zwischen Tradition und Neubestimmung der Frau, zwischen Peripherie und Zentrum Europas, an Verkehrsknoten und auf Märkten bewegen sie sich in der Asynchronie medialisierter Doubles, deren Bild- und Tonspur nicht identisch ist.  Die dabei freigesetzten Synergien vermarkten ihre und andere Projektionen von Europa und werben für ein Europa, das nicht mehr mit seinem Platz im Raum zusammenfällt, sondern erst mit der Zeit entsteht.


19 Uhr

Record I Love You
1999, 8 Min., DV, Farbe, Stumm

„Das andere war ein Tango tanzendes Paar, Mann und Frau, wobei der Mann in einem raffinierten System aus lauter Spiegeln und komplizierten Hightechaufbauten eine normale Videokamera so hielt, dass die beiden teilweise sichtbar, teilweise verdeckt wurden, so dass der Tanz selbst die Kamera führte, die Kamera sehr beweglich und rhythmisiert wurde. Trotzdem ist kein Effekt von Unschärfe und Brutalität zu sehen, sondern ein stetig klares und perfektes Bild, wahrscheinlich mit Autofokus gefilmt. Das Bild war bestimmt vom Rhythmus des Tanzes, doch der Tanz selbst blieb verborgen, weil es ausnahmsweise ein stummes Video war ohne jeden Soundtrack. Beim Sehen des gespiegelten Tanzes haben wir uns die ganze Zeit gewünscht, wir könnten die Musik dazu hören. Durch ihr Nichtvorhandensein wurde die Musik als Wunsch umso mächtiger.“
Friedrich Kittler


Flashforward
2004, 57 Min., Mini-DV, Farbe, Stereo, Deutsch/Englisch U. Mit Auftritten von: Elfriede Jelinek, Suchan Kinoshita, Eva Meyer, Hinrich Sachs, Inga Svala Thorsdottir, Laurence Rickels, Mitja Tusek. Sound: noto aka carsten nicolai raster-noton

Es beginnt mit einem Missverständnis. Ohne zu wissen, was es war, eine Liebesgeschichte oder ein öffentliches Ereignis, wissen wir doch, wie es gesagt, gehört, gesehen wurde und sich in Serie zu einem informativen Raum potentialisiert. Zwischen Gedächtnis und Hoffnung hält er einen Platz frei und könnte ein Programm sein, das Flashbacks in Flashforwards konvertiert. Unter 7 Mitspielern sucht es eine Stimme - einen Zeugen, Geschichtenerzähler, Berichterstatter oder eine im Rollenwechsel begriffene Figur. Bald synchronisieren sie sich mit ihrem jeweiligen Gedächtnis, bald sind sie die Statisten einer Neukonfiguration, deren gemeinsamer Programmierer sie sind.  Sind es Blickrichtungen auf eine im Unendlichen liegende Liebesgeschichte? Dieselbe und doch eine andere.
 

21 Uhr

Mein Gedächtnis beobachtet mich
2008, 28 Min., Farbe, Stereo, Deutsch, Mini-DV. Sound: Peter Steckroth

Es beginnt mit Pressekommentaren zu einer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der anlässlich der Verbrennung eines von Türken bewohnten Hauses in Köln die Assimilation als Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt. Assimilation ist aber für Magnus Hirschfeld ein Medium der Veränderung, des Uneindeutigen des Geschlechts. Als Silhouette bewohnt sie geisterhaft ein Archiv von Nazipropaganda und von Texten und Bildern aus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft. Angesichts der Zerstörung dieses Instituts bei der Bücherverbrennung 1933 in Berlin ist sie auf der Suche nach Unterscheidungen, die der medialen Vereindeutigung und Vernichtung.


Sie könnte zu Ihnen gehören
2007, 37 Min., Farbe/SW, Deutsch/Englisch U., Mini-DV, Sound: Peter Steckroth
 
Aus Filmen unterschiedlicher Genres und unterschiedlicher Zeiten, die in Münster oder Kulissen von Münster spielen, montiert eine Gedächtnisaktivistin ein Filmgedächtnis der Stadt auf der Suche nach prekären Zugehörigkeiten. Markiert von drei Frauen aus drei Filmen: Inge Deitert in „Alle Jahre wieder“ (1967, Regie: Ulrich Schamoni), Käthe Brahms in „Desperate Journey“ (1942, Regie: Raoul Walsh), Luise Gumprich in „Zwischen Hoffen und Bangen“ (2003, Regie: Markus Schröder, auf der Grundlage von Privatfilmen aus der Zeit von 1937-39), generiert sie ein Gedächtnis, das weder psychisch ist noch kollektiv. Es ist selbst das Ablaufen eines Films, der Innen und Außen, Vorher und Nachher in prekären Kontakt zueinander bringt und diese Zugehörigkeit als konstruktives Element einer Fortsetzungsgeschichte mit neuem Gegenwartsbezug begreift.

Sonntag, 6.10.2013

17 Uhr

Hanseatenweg

Studio

17-22 Uhr, Filmabend mit Künstlergespräch, Moderation Hanne Loreck
€ 6/4
Dokumentation
Videostills:
1. Pro Testing
2. Europa von weitem
3. Flashforward
4. Mein Gedächtnis beobachtet mich
5. Sie könnte zu Ihnen gehören
6. Record I Love You
© VG Bild-Kunst, Bonn 2013