Bildmotiv nach Filmstill aus der Bayreuther Lohengrin Inszenierung von Hans Neuenfels © Björn Verloh

JOACHIM HERZ

Auf der einen Seite
Besitzenwollen, auf
der anderen Seite
Freiheit – auch von
Verantwortung
Joachim Herz, 1995


Dies der tragische Widerspruch, um den es im Nibelungenring geht, vier Abende lang: Auf der einen Seite Besitzenwollen, sich Festklammern an Erreichtes, Auszementieren, was man erreicht hat, was man geschafft hat, den anderen zum Objekt machen, Sorge um den Besitz, Furcht vor Veränderung – "keine Experimente" […]. Auf der anderen Seite Freiheit, Furchtlosigkeit, Freiheit auch von Sorge – und Achtung: Diese andere Seite, im Nibelungenring, meint auch Freiheit von Verantwortung, Freiheit von Einsicht und Voraussicht – eine Seite so problematisch wie die andere, beide im Konflikt miteinander, im Konflikt miteinander in Wotans Brust.
Joachim Herz, Notiz, Dresden, 1995


Von den 1960er Jahren an hatte Joachim Herz in der internationalen Wagner-Interpretation neue Maßstäbe gesetzt. Mit seinen Meistersingern von Nürnberg (1960) brachte er einen "komödiantisch-realistischen" Wagner-Stil (Positionen von Bertolt Brecht einbeziehend) auf die Bühne, der neben dem damals schon seit fast zehn Jahren existierenden Neubayreuther Stil zu einer neuen Hauptlinie in der Wagner-Regie wurde. Die Deutung des Fliegenden Holländers (1964, eine der ersten vollständigen Wagner-Verfilmungen) als Traum Sentas hat eine »Traummanie« hervorgerufen. Besonders einflussreich war jedoch Herz’ Ring des Nibelungen (1973–1976, Leipzig, mit Rudolf Heinrich als Bühnenbildner), bei dem zum ersten Mal Wagners Tetralogie konsequent als moderne Parabel gedeutet und die gesellschaftskritische Haltung des Komponisten zu seinem Jahrhundert gezeigt wurde (Ring als "Börsenportefeuille"), dabei auch die Konsequenzen für das 20. Jahrhundert skizzierend(ökologische Katastrophe).
Kristel Pappel, 2012



Foto: Die Walküre, 1974 Oper Leipzig (Inszenierung
Joachim Herz, Ausstattung Rudolf Heinrich), Wotan
(András Faragó) und das Feuer © Helga Wallmüller

JOACHIM HERZ
Regisseur, 1924 in Dresden geboren, 2010 in Leipzig gestorben, Studium an der Hochschule für Musik in Dresden und an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1951–1953 Regisseur an der Landesoper Radebeul, 1953–1956 an der Komischen Oper Berlin und Assistent bei Walter Felsensteins Zauberflöte, 1956–1957 Regisseur an der Oper Köln und Dozent an der Musikhochschule in Köln, 1957 Oberspielleiter der Oper Leipzig, 1959–1976 Operndirektor in Leipzig und Professor an der Leipziger Universität, 1976–1981 Intendant der Komischen Oper Berlin, 1981–1991 Chefregisseur der Staatsoper Dresden, zugleich Lehrauftrag an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber«, ab 1991 freischaffend, Vorträge und Inszenierungen weltweit. Mitglied der Akademie der Künste seit 1969.
Wagner-Inszenierungen: Die Meistersinger von Nürnberg, 1960 Eröffnung des neuen Leipziger Opernhauses; Der Fliegende Holländer, 1962 Komische Oper Berlin und Oper Leipzig, 1963 Bolschoi- Theater Moskau; Tannhäuser, 1965 Oper Frankfurt; Lohengrin, 1965 Oper Leipzig, 1975 Staatsoper Wien; Der Ring des Nibelungen, 1973–1976 Oper Leipzig; Parsifal, 1986 English National Opera, London. Film: Der fliegende Holländer, DDR 1964, DEFA


In der Ausstellung
● Overhead-Projektionsfolien (Vorlage: Fotos von Helga
Wallmüller) und Texte aus den Vorträgen von Joachim Herz 1999–2009 u.a. in Tokio, Lissabon, Wien, Tallinn, Fribourg, Dresden, Leipzig über seine Ring-Inszenierungen. Ausgewählt von Kristel Pappel