Bildmotiv nach Filmstill aus der Bayreuther Lohengrin Inszenierung von Hans Neuenfels © Björn Verloh

BARRIE KOSKY

ES IST EINE LÜGE ZU SAGEN,
ES GÄBE KEINEN ANTISEMITISMUS
IN WAGNERS STÜCKEN!
Barrie Kosky, 2012


Als ich zum ersten Mal Wagner inszenierte, den Fliegenden Holländer, habe ich Folgendes festgestellt: Wagner ist ein Genie, die Musik ist wie eine Droge, der Text ist problematisch, die Frauenfiguren sind sogar unheimlich problematisch und Wagner ist immer dabei. In jedem Takt, jedem Wort, jeder Figur. […] Als ich später den Fliegenden Holländer noch einmal in Essen inszenierte, begann ich, auf die Probensituation körperlich zu reagieren. Beim Ring des Nibelungen wurde das noch schlimmer, ich konnte es jeweils kaum eineinhalb Stunden aushalten. […] Musiker können sagen, dass sie sich nicht für den Text interessieren. Aber als Darsteller oder Regisseur kann man das nicht voneinander trennen. Für mich ist es unmöglich, bei Wagner Musik und Text zu trennen, unmöglich, Wagners Biografie von Musik und Text zu trennen, und unmöglich, Wagners Antisemitismus von seiner Biografie und der Musik und dem Text zu trennen. […] Ich kann nicht glauben, dass Menschen sagen, es gäbe keinen Antisemitismus in Wagners Stücken. Das ist so klar und stark gemacht in den Stücken, dass es eine komplette Lüge ist, das zu sagen! Er hat sehr klar über "jüdische Stimmen" geschrieben und hat das in den Opern genau umgesetzt. […] Der Ring des Nibelungen ist keine universelle Geschichte. Das Mahabharata ist universell. Da ist alles drin: Humor, Zerbrechlichkeit, und die Figuren werden nicht bewertet. Der Ring des Nibelungen ist eine deutsche Geschichte mit einem deutschen Weltblick, gesehen durch einen deutschen Komponisten. Und dieser Blick auf die Welt ist depressiv.
Barrie Kosky, 2012


Foto: Siegfried, 2011 Staatsoper Hannover (Inszenierung
Barrie Kosky, Ausstattung Klaus Grünberg), Johannes
Preißinger (Mime) © Thomas M. Jauk


BARRIE KOSKY
Regisseur, 1967 in Melbourne/Australien geboren, Klavierstudium und Studium der Musikgeschichte an der University of Melbourne, 1990– 1997 Künstlerischer Leiter der Gilgul Theatre Company in Melbourne, 1996 Künstlerischer Leiter des Adelaide Festivals, 2001–2005 Co-Direktor des Wiener Schauspielhauses, seit August 2012 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. Mitglied der Akademie der Künste seit 2012.
Wagner-Inszenierungen: Der Fliegende Holländer, 1996 Sydney Opera House; Lohengrin, 2005 Wiener Staatsoper; Der Fliegende Holländer, 2006 Aalto-Theater Essen; Tristan und Isolde, 2006 Aalto-Theater Essen; Das Rheingold, 2009 Staatsoper Hannover; Die Walküre, 2010 Staatsoper Hannover; Götterdämmerung, 2010 Aalto- Theater Essen, 2011 Staatsoper Hannover; Siegfried, 2011 Staatsoper Hannover


In der Ausstellung
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