13.6.2017, 14 Uhr

Hanns Schimansky – Linienwärts

Eröffnung der Ausstellung im Kurt Tucholsky Literaturmuseum Schloss Rheinsberg am 17. Juni 2017

Seit dem Jahr 2000 stellt die Sektion Bildende Kunst jährlich die Arbeiten eines Mitglieds im Kurt Tucholsky Literaturmuseum aus. Die diesjährige Ausstellung ist dem Grafiker Hanns Schimansky gewidmet.

Im Folgenden gibt Anke Hervol, Sekretär der Sektion Bildenden Kunst, einen Einblick in das Werk Hanns Schimanskys und die Ausstellung:

„In einer globalisierten Welt, in der die ‚Neuen Medien‘ nicht mehr nur Werkzeug sind, sondern sukzessiv Besitz von unserem privaten und gesellschaftlichen Leben ergreifen, wird die reine Handzeichnung zu einem politischen Statement gegen Realitätsverlust, die Schwächung von zwischenmenschlichen Beziehungen und die zunehmende Geschwindigkeit des Lebensalltags.

Hanns Schimansky war und ist seit jeher Zeichner mit aller Konsequenz und Ausschließlichkeit. Ohne weltflüchtig zu sein, reagiert er mit seiner künstlerischen Position auf die Gegenwart, indem er die Zeit als Gestaltungsmittel im Sinne einer ‚radikalen Verlangsamung‘ bewusst einsetzt, Geschwindigkeit und Stillstand im Zeichnungsprozess gegenüberstellt und abstrakte Gegenbilder zur Lebenswirklichkeit erzeugt. Der Zeichner verwendet, frei von jeglicher Form der Archaik, die einfachsten und unmittelbarsten Mittel: Papier, Zeichengeräte, Ölkreide, Tusche, Grafit, Gouache. Seine Zeichnungen und Faltungen setzen sich mit der Oberfläche in einem seismischen Sinne auseinander: Sie machen das Papier zur Membran und zum Resonanzraum eines energetisch-selbstreflexiven Zeichenprozesses – der Vergleich zur improvisierten Musik liegt bei ihm nahe und bestätigt sich durch seine Leidenschaft. Die Linie als pure Linie, aber auch als Ansammlung von Punkten in eine lineare Form, als Verbindungs- und Trennlinie, dient Hanns Schimansky als grafische Spur, Fährte oder nichtfigürliches Abbild der Gedanken, Stimmungen, Ideen und als Konzentrationsraum.

Wie aber vollzieht sich der Prozess von der reinen Materialität und Leere des Papiers hin zu einer den Bildraum erobernden Fülle? ‚Linienwärts‘ beschreibt den richtungsweisenden Impuls der Linie im Werk von Hanns Schimansky. Zaghaft vom Blattrand beginnend, arbeitet er sich mit unterschiedlicher Bewegungsintensität und Beweglichkeit in den Blattkörper hinein: geradlinig, klar, kräftig und leicht, dicklich und ausgedünnt, schwingend, zackig, rund, wellig, kristallin, verdichtend oder luftig … Die Freude an der Eroberung des Blattes durch den in Agilität übersetzten Zeichnungsimpuls, der fast einem performativen Akt gleicht, schwingt in jedem seiner Blätter mit: Der geistige Prozess des Künstlers wird erfahrbar in der Sinnlichkeit (Hören, Sehen, Fühlen) seiner Zeichnung.

Die Zeichnungsserie ‚Mikrokanonisches Orchester‘ spricht über Hanns Schimansky und seine Schnittstellen zur Musik und Performanz. Die Zeichnungen haben in dem Blatt eine Begrenzung gefunden, der Denkraum lässt sich durch die Ränder jedoch nicht beschneiden, sondern trägt sich selbst ins Unendliche weiter. Die Linie ist Kontur, strukturiert das Blatt, verdichtet, verkettet, schichtet sich in abstrakten, amorphen und geometrischen Ordnungen, bildet aber unbeabsichtigt auch gegenständliche Formen aus, die für den Betrachter ein Narrativ zulassen. Schimansky überlässt dem Resonanzraum Papier zahlreiche Freiräume und formuliert damit den fragmentarischen Charakter seiner Bildwerke. Die Wahl des Materials, der Zeichengeräte und der Umgang mit Farbzonen verändert das Wirkungsfeld maßgeblich. Mit dem Prinzip der Faltungen greift das Trägermedium Papier in den grafischen Prozess ein, indem gefaltete Linien, ganze Liniennetze und entstandene Schichtungen das Papier überziehen und das Gezeichnete auch unter und in der Faltung verborgen liegt. Aufbrechende Farbe an den Falzkanten unterstreicht erneut die Seismik des Werkes. Das dünne, beidseitig eingefärbte und gefaltete Papier unterstreicht die Textur des Blattes und hebt klare Definitionen von Vorderund Rückseite, des Oben und Unten auf. Sie treten in Beziehung und scheinen auf der gegenüberliegenden Seite durch.

Bei seinen neuesten Faltungen hat er die Mehrfarbigkeit verlassen und führt die weißen Vorderseiten mit gerichteten Linien und Linienbegegnungen über schwarz grundierten Rückseiten vor, deren dunkler Schimmer die weiße Vorderseite prägt. Ihr plastischer Wert fesselt in gleichem Maße wie ihr grafischer Wert. Hanns Schimansky ist mit seinen Brechungen der Farbränder, den Faltungen und der Dialogisierung der Vorder- und Rückseite der Schritt in den dreidimensionalen Raum gelungen. In diesem dreidimensionalen Raum angekommen, bleibt er seinem gestalterischen Grundprinzip treu und nähert sich dem Betrachter mit individueller Wahrnehmung der Welt und in dem Bewusstsein, dass alles nur Fragment eines erweiterten Denk- und Handlungsraumes ist.“ (Anke Hervol)

 

Hanns Schimansky – Linienwärts: 17. Juni bis 10. September 2017
Eröffnung: Samstag, 17. Juni 2017, 11 Uhr

Es sprechen:

  • Peter Böthig, Leiter des Kurt Tucholsky Literaturmuseum - Schloss Rheinsberg
  • Wulf Herzogenrath, Direktor der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste
  • Hubertus von Amelunxen, Präsident der European Graduate School (EGS), Le Valais (CH)

Kurt Tucholsky Literaturmuseum
Schloss Rheinsberg
16831 Rheinsberg
Tel. +49 (0)33931 39007
mail@tucholsky-museum.de
www.tucholsky-museum.de

Di – So, 10 –17.30 Uhr
Eintritt 4/3 Euro