5.12.2019, 10 Uhr

5 Fragen an Helga Paris zu ihrer Ausstellung „Helga Paris, Fotografin“ an der Akademie der Künste

Helga Paris zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Fotografinnen. Seit 1966 lebt sie in Berlin-Prenzlauer Berg und beginnt in den frühen 1970er Jahren, die Menschen in ihrer Nachbarschaft zu fotografieren. Vom 8.11.2019 bis zum 12.1.2020 zeigt die Akademie der Künste die bisher umfangreichste Ausstellung Helga Paris'. Im Interview spricht sie über die Retrospektive und ihren Zugang zur Fotografie.

Frau Paris, in Ihren eigenen Worten: Was erwartet die Besucher*innen der Ausstellung „Helga Paris, Fotografin“?

Die Ausstellung ist ein umfangreicher Einblick in die Vergangenheit. Sie zeigt alles, was mir lieb war und damit wichtig erschien fotografiert zu werden: Personen in meiner unmittelbaren Nähe, die Nachbarschaft und mein Umfeld. Durch Reisen nach Georgien, Russland und die Ukraine schweifte mein Blick nach und nach weiter in die Ferne. Einige dieser Aufnahmen sind dann als Exponate selbst durch die Welt gereist. In der aktuellen Retrospektive am Pariser Platz sind aber auch viele bisher unveröffentlichte Werke. Die Russland-Serie etwa hatte ich über die Jahre schon völlig vergessen, obwohl sie mir so lieb ist. Jetzt habe ich sie wiederentdeckt. Auch zwei Stillleben sind Teil der Abbildungen, was für mich etwas sehr Seltenes und eine Besonderheit dieser Ausstellung ist. Es ist schön, wenn einen die eigene Ausstellung noch selbst überrascht.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Meine Kinder haben mich dazu bewegt. Wie wahrscheinlich jede Mutter hatte ich das Bedürfnis, meine Kinder zu fotografieren. Mein Ursprung ist die Amateur- und Familienfotografie. Auch als ich selbst Kind war, wurde bei uns in der Familie viel fotografiert. Meine zwei Tanten hatten Kameras; Fotografien gehörten zu unserem Alltag. Mit dem Blick des Amateurs ging ich an die Fotografie heran und weitete ihn auf meine Umgebung und später auf andere Länder aus. Amateur heißt schließlich Liebhaber. Ich fotografierte alles, was mir lieb und wichtig war.

Diesen intimen Blick des Liebhabers merkt man Ihren Werken an. Wie konnten Sie diese Nähe immer wieder herstellen, wenn Sie außerhalb Ihres Familienkreises fotografiert haben?

Ein paar Personen, die man auch in der Ausstellung sieht, kannte ich natürlich. Zum Beispiel waren die Punks Freunde meiner Kinder. Die meisten von mir fotografierten Personen kannte ich aber nicht vorher. Wenn ich die Kamera hebe, habe ich ein anderes Auftreten. Darin liegt bereits viel Nähe. Der Mensch möchte letztendlich gesehen werden. Das ist bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen. Im Falle meiner Bilder entsteht das Erkennen der anderen Person – und damit die Nähe – über die Kamera.

War es immer einfach, Menschen in Ihrer Umgebung zu fotografieren?

Das war es, bis auf einmal in Halle – ein einschneidendes Erlebnis, das meine Art zu fotografieren veränderte. Als ich mit der Halle-Serie begann, fotografierte ich einen Betrunkenen auf der Straße. Als er das merkte, wurde er furchtbar wütend, winkte mit seinem Stock und wollte meinen Ausweis sehen. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, fragte ich ihn: Kann ich jetzt ein Foto von Ihnen machen? Da sagte er „ja“ und posierte wie Napoleon vor mir. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Die Hallenser fühlten sich scheinbar ertappt oder ihrer Würde beraubt, als ich sie ungefragt auf der Straße, sich nach der Arbeit nach Hause schleppend, fotografierte. Von da an fragte ich immer vorher. Die Menschen, die ich ablichte, brauchen nicht in die Kamera zu schauen, aber sie sollen sich ihrer Anwesenheit bewusst sein. So entstand meine Porträtform.

Ihre Aufnahmen zeigen unvoreingenommen das Alltagsleben in der DDR – ein seltener Blick im öffentlichen Diskurs. Welches Interesse haben Menschen heute, 30 Jahre nach der Öffnung der Berliner Mauer, daran?

Die Interessen sind sicher so vielfältig wie die Besucher*innen selbst. Ein Aspekt kann aber das Sich-Erinnern sein. Wenn so viele Menschen das gleiche erlebt haben, entsteht auch irgendwann das Bedürfnis, sich zu erinnern. Ich selbst habe meine Fotos – ich konnte mich die ganze Zeit erinnern. Umso schöner, wenn sie auch anderen dazu dienen, sich zu erinnern.

 

Interview: Katharina Warda