30.3.2020, 10 Uhr

Die Archäologie der Wünsche: Akademie der Künste übernimmt Archiv von Uwe Timm

Uwe Timm im Buchhändlerkeller, Berlin, 23.9.1993

Uwe Timm übergibt anlässlich seines 80. Geburtstags den ersten Teil seines künstlerischen Vorlasses an das Archiv der Akademie der Künste.

Uwe Timm, am 30. März 1940 in Hamburg geboren, wurde 1974 mit dem Roman Heißer Sommer einem größeren Publikum bekannt. Mit Die Entdeckung der Currywurst (1993, verfilmt 2008) gelang ihm ein Welterfolg, ebenso mit dem Kinderbuch Rennschwein Rudi Rüssel (1989, verfilmt 1995). Timms neuer Essayband trägt den Titel Der Verrückte in den Dünen. Über Utopie und Literatur.

Utopien, imaginierte Orte idealer Ordnung, die in der historischen Realisierung wie auch im Gedankenspiel der Literatur leicht ihre Entgleisung zur Dystopie erleben, spielen in den Texten von Uwe Timm eine wesentliche Rolle. „Hat Utopia nicht seinen Ausgang im Mangel, dem Nicht-einverstanden-sein“, fragt der Protagonist Wagner in Ikarien (2017). Skeptisch betrachtet er die Ambivalenzen dissidenten Handelns: mutige Gesellschaftskritik auf der einen Seite, gescheiterte Alternativprojekte, eugenischer und rassentheoretischer Wahn auf der anderen Seite. Das „Nicht-einverstanden-sein“, sei es mit gesellschaftlichen Zuständen oder mit der individuellen Lebenssituation der Protagonisten, ist Ausgangspunkt von Timms Romanen und autobiografischen Schriften seit Heißer Sommer. Und die Frage, welche mitunter fatalen Folgen die Umsetzung gesellschaftlicher oder privater Utopien haben kann, prägt diese Texte, einmal mehr, einmal weniger explizit. Der Nationalsozialismus, seine Wurzeln in der deutschen Gesellschaft und seine Folgen, aber auch die Kolonialgeschichte, nicht zuletzt die Errungenschaften und Probleme der 1968er Bewegung, sie werden in Timms Texten immer wieder inszeniert – multiperspektivisch, unakademisch, zur Auseinandersetzung auffordernd und trotz aller Komplexität in einer Form, die auch ein großes Lesepublikum erreicht.

Im Uwe-Timm-Archiv stehen nun Werkmanuskripte, Materialsammlungen, Korrespondenz, u.a. mit Egon Bahr, F. C. Delius, Gerd Fuchs, Günter Herburger, Felicitas Hoppe, Erich Loest und Dieter Wellershoff der Forschung zur Verfügung. Auch Belegdrucke von Timms Werken sind zu finden sowie die Publikationen der von ihm 1973 bis 1982 mit herausgegebenen AutorenEdition, dem ambitionierten und durchaus utopischen Projekt, unter dem Dach des Bertelsmann-Verlags realistische, gesellschaftskritische Literatur jenseits von Verlagskalkulationen zu publizieren.


Ansprechpartnerin: Helga Neumann, Literaturarchiv