Bildmotiv nach Filmstill aus der Bayreuther Lohengrin Inszenierung von Hans Neuenfels © Björn Verloh

HEINER MÜLLER / ERICH WONDER / STEPHAN SUSCHKE

DER RAUSCH
IST DIE ANGST
VOR DEM
VAKUUM.

Heiner Müller, 1993



Wagner hat mich als dramaturgisches Genie immer interessiert, auch was die Kalkulation von Wirkungen angeht. Er selbst hat versucht, die Methode Shakespeares zu definieren – "mimische Improvisation in einem vorgezeichneten Grundriss".
Differente Geschwindigkeiten stoßen aufeinander und erzeugen einen Wirbel. Wie bei der deutschen Wiedervereinigung. Daraus entsteht die Rauschwirkung. Der Rausch ist die Angst vor demVakuum. Die Tristan-Musik ist eine ungeheuer theatralische Musik, ihr Wesentliches liegt im Schauspielerischen.
Die Musik übernimmt bei Wagner die Funktion der Maske in der griechischen Tragödie. Die Masken waren notwendig, weil in der antiken Tragödie nur Tote agierten. Die Tragödie war Totenbeschwörung. Wagner verstand seine Opern als Fortsetzung der antiken Tragödie.
Ich glaube, dass Rausch ein utopisches Potenzial ist, gerade in unserer zunehmend von Technologien beherrschten Gesellschaft.
Heiner Müller, Lettre International 21/1993



Tristan war geometrisch, von der abstrakten Malerei kommend, sehr streng. Gute abstrakte Malerei ist Reduktion. Sicher hat der Tristan-Raum mit Wagner zu tun gehabt, aber eben auch mit Heiner. Ich projiziere immer sehr viel hinein in Persönlichkeiten. Ich bin von der Malerei abgekommen, weil ich keine Partner hatte. Das ist unerträglich, in einem Atelier zu sitzen und zu malen. Da war Heiner der perfekte Partner, der beste für mein Künstlerleben überhaupt. Er war klug, schlau – oder hat so getan –, und er war das Orakel.
Heiners große Qualität waren Strukturen, aus denen man auch als Bühnenbildner etwas entwickeln konnte.
Erich Wonder, 1993


 

HEINER MÜLLER
Autor, Regisseur, Intendant, 1929 in Eppendorf/Sachsen geboren, 1995 in Berlin gestorben, 1970–1976 Dramaturg am Berliner Ensemble, 1977–1982 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, 1992–1995 Direktionsmitglied und 1995 Künstlerischer Leiter des Berliner Ensembles. Mitglied der Akademie der Künste seit 1983, 1990–1993 Präsident der Akademie (Ost).
Wagner-Inszenierung: Tristan und Isolde, 1993 Bayreuther
Festspiele

ERICH WONDER
Bühnenbildner, 1944 in Jennersdorf/Österreich geboren, Studium an der Kunstschule Graz und der Akademie der bildenden Künste in Wien, Bühnenbildassistent am Theater in Bremen mit Wilfried Minks, Bühnenbildner am Schauspiel Frankfurt, seit 1978 freischaffender Bühnenbildner u.a. mit Luc Bondy, Ruth Berghaus, Heiner Goebbels, Jürgen Flimm, Hans Neuenfels, Claus Peymann, Heiner Müller, Matthias Hartmann, 1978 Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1985–2012 Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Wagner-Arbeiten: Tristan und Isolde (Inszenierung Heiner Müller), 1993 Bayreuther Festspiele; Der Ring des Nibelungen (Inszenierung Jürgen Flimm), 2000 Bayreuther Festspiele


STEPHAN SUSCHKE
Regisseur, Autor, 1958 in Weimar geboren, 1987–1995 Regieassistent/Regiemitarbeiter von Heiner Müller


In der Ausstellung
● Erich Wonder, Original-Entwürfe zu Tristan und Isolde, Aquarell auf Tusche und Karton, jeweils 110 x 300 cm
● Stephan Suschke verbindet diese Bilder mit einer filmischen Collage aus der Aufzeichnung der Inszenierung, Tonaufzeichnungen von Interviews mit Protagonisten der Inszenierung und Texten von Heiner Müller sowie Proben und Gesprächsnotaten von Jenny Erpenbeck und Stephan Suschke