Eine Frage noch – ... oder ist sie schon beantwortet?

Cover von Eran Schaerfs Publikation Elefant im Raum

22. Mai 2019

Von Eran Schaerf

Der Elefant im Raum, ein Migrant aus dem angelsächsischen Sprachraum, steht für ein offensichtliches Problem, das dennoch nicht angesprochen wird. Auch der weiße Elefant ist ein Sprachmigrant, der aus dem angelsächsischen Sprachraum zu uns kommt. Er war lange in kolonialen Diskursen unterwegs, ist aber auch unter Englischsprechenden wenig bekannt. Meine Freundin Carol sagt mir, dass ein weißer Elefant für things that don't match steht, wie parts of an incomplete set of dishes. Das passt zu dem, was mein Cousin Eddi über den white elephant sale sagt – eine Verkaufsveranstaltung von Objekten, die zwar einen gewissen Wert haben, aber keinen wirklichen Nutzen und höchstwahrscheinlich keinen Wiederverkaufswert. An das Nutzlose von nicht passenden Objekten knüpft ein US-amerikanisches Partyspiel an, sagt Eddi. Es heißt white elefant gift exchange und besteht aus dem Austausch von nutzlosen Geschenken. Es ist ein Spiel, bei dem man sich spendabel zeigt und trotzdem spart. Die Partygänger bringen die Geschenke verpackt, so dass niemand weiß, was ihm zufallen wird. Der Spaß beginnt, wenn das Nutzlose ausgepackt wird. Mir kommt der deutsche Innenminister in den Sinn, der 69 abgeschobene Asylsuchende als Geschenk zu seinem 69. Geburtstag deklarierte. Ich weiß, dass das hier völlig unpassend ist, das sind doch Menschen, keine nutzlosen Objekte, aber vielleicht wird es später von Nutzen sein.

In meinem hebräischsprachigen Gedächtnis rumort noch ein weißer Elefant, dem ich im Lexikon zur öffentlichen Haushalts- und Finanzwirtschaft näher auf die Spur komme. In der Entwicklungshilfepolitik steht der weiße Elefant für teure Großprojekte, die nicht durch ihren Nutzen gerechtfertigt sind. Von einem weißen Elefanten wird auch dann gesprochen, wenn die Investitionskosten für ein Projekt zwar niedrig, die Folgekosten aber sehr hoch sind. Was das ökonomisch bedeutet, findet man, wenn man vom englischsprachigen Wikipedia-Eintrag „white elephant“ auf das deutschsprachige Äquivalent wechselt. Man landet dann nicht bei „weißer Elefant“, sondern bei „Investitionsruine“, einem Bauwerk also, das nach Fertigstellung nie genutzt wurde oder das nach vorzeitigem Bauabbruch unfertig in der Gegend stehenbleibt. Zur Herkunft dieses „modernen Sprachgebrauchs“ des weißen Elefanten wird oft eine populäre Anekdote bemüht. Demnach schenkte der siamesische König einem Untertanen, der seinen Neid weckte, oder einem verfeindeten Land einen Albino-Elefanten. Einen solchen Elefanten zu besitzen, war zwar ehrenvoll, doch weil das Tier nicht zur Arbeit eingesetzt werden durfte und weil es abzustoßen als ein Sakrileg galt, würden seine Unterhaltskosten den Geschenkempfänger schließlich in den Ruin treiben. Diese Anekdote kursierte seit Jahrhunderten, doch war es erst in den 1850er Jahren, „als die USA und Großbritannien erneut ihr Interesse an der Aufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen mit Siam bekundeten, dass die Geschichte des weißen Elefanten als unwillkommenes Geschenk zur kulturellen Währung wurde“. Mit der thailändischen Geschichte selbst hat das nichts zu tun, sagt die Historikerin Rita Ringis. „Weder hat je ein siamesischer Monarch das Tier als Last empfunden, noch es verschenkt.“ Das Tier, das westliche Schriftsteller als weiß bezeichneten, heißt auf Thai chang pheuak, was so viel wie Albino oder „strangely coloured“ bedeutet. Weißer Elefant ist also das Produkt von „Jahrhunderten der Fehlübersetzung“ (Ross Bullen, „This Alarming Generosity“: White Elephant and the Logic of the Gift, American Literature 83/4, 2011).

Doch wenn es keine weißen Elefanten gibt, was zum Teufel wäre dann ein weißer Elefant im Raum? Auf diese Frage meint der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn eine Antwort zu besitzen. „Der weiße Elefant im Raum“, schreibt er in einem Positionspapier, Verzeihung, einem Gastbeitrag in der FAZ, „ist die Frage der Migration.“ (31. Oktober 2018) Zwar ist die Frage der Migration in aller Munde, das hat er schon bemerkt, er möchte sie aber als eine Investitionsruine besprechen. Wenn er AfDeutsch sprechen könnte, würde er sagen: Migranten treiben Deutschland in den finanziellen Ruin. Kann er aber nicht. Investitionsruine hört sich für den christdemokratischen Unionisten auch seriöser an. Das hat mit Wohlstandsvorsorge zu tun. Und darum geht es: „Wie stärken wir die Leistungsgerechtigkeit?“ Indem wir das Drohbild des Migranten heraufbeschwören, der dem Wirtschaftswunderdeutschen auf der Tasche liegt. So ein Satz wie: „Unsere Freiheit meint nicht maximale Individualität, sondern Freiheit zur Verantwortung für sich und andere“, hat sich auch noch in dieses Positionspapier geschlichen. Aber welcher Verantwortungsbegriff ist da gemeint, wenn jene, die in der Not auf das Verantwortungsgefühl anderer Menschen angewiesen sind, als schlechte Investition dargestellt werden? Hat es noch mit Verantwortung zu tun, wenn man sich fragt, ob es sich lohnt, Menschen in Not zu helfen? Ob es sich bezahlt macht, Menschen entgegenzukommen, die einer Lage entfliehen, für die Deutschland nicht einmal verantwortlich ist? Falsch verstanden. Mit „Freiheit zur Verantwortung“ ist gemeint, dass man sich aussucht, wen man sterben lässt. In einem Interview mit drei Berliner Gymnasiasten schlug einer, der aus Syrien geflüchtet war, vor, den Export von Waffen an die Aufnahme von Geflüchteten zu koppeln. Länder, die Waffen exportieren, verpflichten sich, die Menschen aufzunehmen, deren Häuser mit diesen Waffen zerstört wurden. Oder passt es jetzt nicht, wenn der weiße Elefant im Raum anfängt, mit Werten zu jonglieren? Für die gegenwärtige Ökonomie sind wir, wenn ich den Philosophen Michel Feher richtig verstanden habe, nicht mehr Bürger, sondern Unternehmer. Da zählt nicht mehr unser realer Wert, sondern die Frage, ob wir kreditwürdig sind. Als Unternehmer werden wir angesprochen, wenn wir vor Migration als Investitionsruine gewarnt werden. Die Würde des Menschen ist vielleicht unantastbar. Das macht aber nicht jeden Menschen zwingend investitionswürdig.

Eran Schaerf, Bildender Künstler, ist Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Bildende Kunst. An „Wo kommen wir hin“ ist er mit der Performance Schnappschuss beteiligt, die noch bis 2. Juni 2019 täglich von 17 bis 17.30 Uhr aufgeführt wird. Sie handelt vom Umgang der Gesellschaft mit Erzählungen, die ihre konstitutive Erzählung unterbrechen, und ist Teil von Kathrin Rögglas Projekt „Der Elefant im Raum“.