Dieter Beilig aus Berlin-Kreuzberg wurde am 2. Oktober 1971
im Akademie-Gebäude am Pariser Platz von einem Offizier
der Grenztruppen erschossen.


Wer war Dieter Beilig?

Wenig ist über Dieter Beilig bekannt. Sein Vater fällt als Soldat 1943 in Russland, Geschwister hat er nicht. Die Not in der Zeit nach dem Krieg ist groß. 1956 heiratet die Mutter einen Witwer, der seine Tochter mit in die 1 1/2 –Zimmerwohnung in Berlin-Kreuzberg bringt. Konflikte sind unvermeidbar. Im gleichen Jahr wird Dieter aus der siebten Volksschulklasse entlassen. Der kränkliche Junge, dem ein großes Interesse an Geschichte und Gesellschaftskunde attestiert wird, beginnt eine Bäckerlehre. Aufgrund der Spannungen in der elterlichen Wohnung wird er in den Jugendhof Berlin-Schlachtensee eingewiesen, dessen Ruf, wie sich später herausstellt, wegen der Unterbringung krimineller Jugendlicher sehr schlecht ist. Er will aus der geschlossenen Anlage raus, bricht die Lehre nach vier Monaten ab, Alkohol spielt eine Rolle. Schließlich kann er zur Mutter zurück, findet jedoch nun keine Lehrstelle mehr und arbeitet als Hilfsarbeiter bei verschiedenen Unternehmen. Glücklich ist er, als die Familie einen Garten bekommt. Er liebt Tiere und Pflanzen und arbeitet gerne dort.

Als am 13 August 1961 die Berliner Mauer gebaut wird, beteiligt er sich von Anfang an mit großem Einsatz an Protestaktionen. Zum ersten Mal scheint er durch die Einbindung in die Gruppen der aktiven Kämpfer gegen die deutsche Teilung Bestätigung zu finden. Öffentlich bekannt wird er, als er beginnt, Holzkreuze zum Gedenken an die Todesopfer der Grenze aufzustellen. Zeitungen berichten von seinen Aktivitäten. Er bringt Protestplakate an, organisiert Demonstrationen und führt Sprengstoffanschläge gegen die Mauer durch. Wegen unerlaubten Sprengstoffbesitzes wird er vom Jugendschöffengericht zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt.
Zum ersten Jahrestag des Mauerbaus organisiert er einen Demonstrationszug von mehreren tausend Menschen und spricht zwei Tage später gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt auf einer Protestkundgebung. Weitere Demonstrationen folgen.
1963 gründet er die „Peter-Fechter-Memorial-Bewegung“, „denn kein Mauertoter sollte vergessen werden“. Auch wird er aktives Mitglied der „Vereinigung Opfer des Stalinismus“.

Im Dezember 1964 wird Dieter Beilig bei einer Protestaktion von Grenzposten der DDR festgenommen und am 11. 12. 1964 durch das Ost-Berliner Stadtgericht von Groß-Berlin zu 12 Jahren Haft wegen „staatsfeindlicher Hetze und Terror“ verurteilt. In den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) finden sich Briefe an seine Mutter, an Tante und Onkel, die als nicht genehmigt konfisziert wurden. Wegen der harten Haftbedingungen schreibt er am 8. 6. 1966 einen Brief an den Generalstabsanwalt. Er klagt an, er sei unschuldig inhaftiert. Er habe sich gegen das Morden an der Mauer aufgelehnt. „Mit einem Kreuz zog ich am 13. August 1962 durch Westberlin und dieses stellte ich auf, wo Peter Fechter ermordet wurde…“ Und weiter unten heißt es: „… Ich bin ein Arbeiter, verachte jede Art von totalitären Diktaturen, ob bei Hitler oder jetzt. Ich liebe die Freiheit und die Menschenwürde.“. Er bittet um Hafterleichterung und um mehr Essen. Da er nicht arbeiten dürfe erhalte er „jetzt Nichtarbeiterverpflegung, und die ist so minimal, dass ich immer trocken Brot essen muß und dass ich hungrig ins Bett gehe.… Sollte man hier in Brandenburg nicht genügend Verpflegung haben, dann würde ich mir von meiner Mutter jede Woche ein Paket schicken lassen. Dann würde ich satt werden. …In den 50iger Jahren hätte man das verstehen können, aber heute, 21 Jahre nach dem Krieg.“ Der Brief endet mit der Erklärung: „…Wenn nötig werde ich mein Leben und mein Gut dem Frieden und der Verständigung unter den Völkern der Erde opfern. Dieter Beilig, der Begründer der Mahnmäler und des gewaltlosen Widerstands in Berlin.“
Auch dieser Brief wird konfisziert. 1966 wird die Haftstrafe in eine vierjährige Bewährungsstrafe umgewandelt, die im September 1970 getilgt wird. Der Strafvollzug wird ausgesetzt. Durch Vermittlung aus dem Westen wird er am 14. 9. 1966 in den Westen entlassen. Sein Widerstand gegen das Regime ist jedoch nicht gebrochen, sondern hat sich eher aufgrund der Erfahrungen in der Haft verfestigt.

Mit der Entspannungspolitik Willy Brandts hat sich die politische Lage dagegen grundlegend verändert. Statt durch Proteste soll die Deutsche Teilung durch Verhandlungen und Verträge überwunden werden. In der Folge der Entspannungspolitik Willy Brandts war 1969 die DDR zwar nicht völkerrechtlich, aber staatsrechtlich als einer der beiden deutschen Staaten im Sinne einer gemeinsamen Nation anerkannt worden. 1970 war es zu einem ersten offiziellen Treffen Brandts mit dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR Willi Stoph in Erfurt gekommen. Am 3. September 1971 wird im Alliierten Kontrollratsgebäude das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet, das die Grundlagen zum Rechtsstatus der geteilten Stadt, das Verhältnis Berlins (West) zur damaligen Bundesrepublik Deutschland sowie den Zugang zu Berlin(West) regelte.
Während jedoch für den Westen eine Verbesserung der Kontakte zwischen den Menschen in Ost und West im Vordergrund steht, ist für den Osten eine Verfestigung der Staatlichkeit der DDR das Ziel.

Was geschah am 2. Oktober 1971?

Im handschriftlichen  Festnahmeprotokoll Nr. 66, vom gleichen Tag, in dem 9.15 Uhr als Zeitpunkt der Inhaftierung genannt wird, heißt es: „Die Person bestieg auf Höhe der Friedensallee die Grenzmauer, lief auf dieser bis zur Mitte des Platzes vor dem Brandenburger Tor, sprang dort herunter und bewegte sich in Richtung Pariser Platz. Die Festnahme erfolgte auf der Höhe des Besucherpodestes. Die Person wurde in den Südflügel des BT geführt und dort flüchtig durchsucht. Dann erfolgte die Züführung zum Führungspunkt im Gebäude der Akademie der Künste. Kurz vor dem Gebäude riß sich die Person loß und flüchtete in Richtung Otto-Grotewohl-Str. (jetzt wieder Wilhelmstraße). Vor der rückwärtigen Begrenzung erfolgte die erneute Festnahme. Daraufhin wurde er zum Führungspunkt gebracht und gründlich durchsucht. Waffen und Werkzeuge wurden nicht gefunden, andere persönliche Gegenstände wurden abgenommen. Anschließend wurde die Person in einen Nachbarraum -“. Die folgende Seite des Protokolls ist nicht erhalten.

In der maschinenschriftlichen Ergänzung zur vorliegenden Tagesmeldung heißt es, Westberliner Polizisten hätten versucht Dieter Beilig vom Besteigen der Sperrmauer zurückzuhalten. „… Bei der Zuführung zum Stützpunkt des GÜST-Regt. (GÜST: Grenztruppen) wurde B. flüchtig. Er konnte ohne Anwendung der Schusswaffe in Höhe des Hinterlandzaunes, unmittelbar in der Otto-Grotewohl-Straße, erneut festgenommen werden. B. wurde verwarnt, daß bei erneutem Fluchtversuch von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. … B. bat um ein Glas Wasser, die Bitte wurde ihm verwehrt. Unmittelbar danach sprang B. vom Stuhl auf, riß das Fenster auf und wollte erneut fliehen. Der zur Bewachung mit eingesetzte Zugführer,  Ltn. Triebel, GR-35, gab auf den B. einen Schuß aus der MPi im Hüftanschlag ab. B. fiel vom Fensterbrett, das er bereits bestiegen hatte. Nach einer ersten Hilfeleistung wurde B. mit Sondersignal zum VP-Krankenhaus (VP: Volkspolizei), überführt. Im VP-Krankenhaus wurde der Tod festgestellt. Der Schuß hatte B. von hinten unterhalb des linken Schulterblatts getroffen. Schussaustritt, vordere Seite, oberhalb der Herzgegend. Das Projektil schlug in die Fenstervermauerung des GÜST-Stützpunktes ein.“

Im dritten erhaltenen Dokument, das den Tathergang beschreibt, dem Entwurf – Anlage zum Festnahmeprotokoll, heißt es:
„… Vor der rückwärtigen Begrenzung konnte er erneut gestellt und überwältigt werden. Er wurde verwarnt und es wurde angekündigt, daß bei einem erneuten Fluchtversuch von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. Nach seiner Zuführung zum Dienstraum der Kompanie erfolgte eine gründliche Durchsuchung, wobei alle Dokumente und persönlichen Gegenstände abgenommen wurden. Es handelte sich dabei: „1. Behelfsmäßiger Personalausweis (Westberlin), 2. 47 Zigaretten Marke Roth-Händle, 3. 1 Sonnenbrille, 4. 1 Siegelring –gelb, 5. 1 Ring mit Stein –gelb, 6. Armbanduhr-gelb 7. Armband –gelb, 8. 1 Kettchen mit Anhänger-Herz-gelb, 9. 2 Kugelschreiber, 10. 1 Visitenkarte des Bildjournalisten X  u. X , Büro 1 Bln. 61 X-straße (Namensangaben sind in den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen demokratischen Republik, BStU, geschwärzt), 11. verschiedene Fotografien, 12. 12,60 DM, 13. 1 Schlüsseltasche mit 3 Schlüsseln, 14. 1 Feuerzeug, 15. 1 Kamm. Als B…. in einen anderen Raum gebracht werden sollte, verleumdete er die ihn bewachenden zwei Angehörigen der Grenztruppen als 'Strolche' und 'Schweine'. Den Aufforderungen sich ruhig zu verhalten und den Anordnungen Folge zu leisten, kam er nicht nach. Bei Betreten des anderen Raumes, stieß er mit seinen Fäusten einen Posten zu Boden und versuchte ihm die durchgeladene Maschinenpistole zu entreißen. Der zweite Posten gab daraufhin einen Schuß aus seiner Maschinenpistole ab, verletzte dabei den Grenzprovokateur und konnte einen Schusswaffengebrauch des B…. verhindern. Bln. den 2.10.1971, Kdr. der Einheit
Handschriftlich findet sich die Ergänzung: „Weiterhin äußerte sich B. wörtlich: 'Wie konnte ich bloß so blöde sein, das ein zweites Mal zu machen. Ich möchte bloß wissen, warum sie mich dazu auserkoren haben.'“

S
chließlich wird durch die Verwaltung für Staatssicherheit Groß Berlin, Abteilung IX,  noch am gleichen Tag ein die vorherigen Angaben ergänzender mehrseitiger Bericht angefertigt, für den auch die bereits vorliegenden Akten zu Dieter Beilig herangezogen werden. In diesen  „Informationen zur Grenzprovokation in Berlin-Mitte“, die, in 5 Exemplaren gefertigt, an den „Genossen Minister“ (Erich Mielke), seinen Vertreter, den Leiter der Verwaltung und die Leiter der Hauptabteilung IX und der Abteilung IX gingen  wird der Fall folgendermaßen beschrieben: Dieter Beilig war am Morgen des Tages von Westen kommend am Platz vor dem Brandenburger Tor, heute Platz des 18. März, auf die äußere Sperrmauer gestiegen, lief etwa 30 Meter auf der Mauerkrone entlang und „provozierte mit verschiedenen laut gerufenen Hetzlosungen, wie: ‚Unser Volk muß sich einig sein, Einigkeit Deutschlands, beide Nationen vereint, Deutschland kann nur frei sein, wenn es einig ist’ und ähnlichen Äußerungen. Nachdem weitere Westpolizisten Beilig von der Grenzmauer herunterholen wollten, sprang er von dieser in Richtung Hauptstadt der DDR ab und drang in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ein…“ Weiter heißt es: „…Mit dem vermutlichen Ziel, die Entfernung eines Postens zu erreichen, verlangte Beilig nach einem Glas Wasser. Er wurde aufgefordert, sich ruhig zu verhalten. Nach etwa einer Minute sprang Beilig plötzlich von seinem Stuhl auf und durchquerte diagonal das Zimmer zum Fenster. Der Versuch, des zur Tür befindlichen Postens, Beilig festzuhalten, misslang. Der mehrfachen Aufforderung der Posten, stehen zu bleiben, kam Beilig nicht nach. Beilig riß die  am Fenster befindliche Gardine zurück, öffnete das Fenster und stieg in die Fensteröffnung, um hinauszuspringen und zu flüchten. Beide Posten luden ihre Waffen durch, und der Offizier gab aus etwa 2 Meter Entfernung einen Schuß in Richtung des Beilig ab. Auf Grund der erlittenen Verletzung fiel Beilig in das Zimmer zurück. Nach der ersten medizinischen Betreuung des Beilig durch die NVA-Grenze erfolgte sein Abtransport mit einem zwischenzeitlich angeforderten Sanitätskraftwagen des 35. Grenzregiments mit aufgesteckter Rot-Kreuz-Flagge zum Krankenhaus der Deutschen Volkspolizei Berlin. Dort wurde festgestellt, daß Beilig zwischenzeitlich auf Grund des erlittenen Thoraxdurchschusses während des Transportes gegen 10.05 verstorben war…“

Wie und warum wurde die Tat vertuscht?

In dem zuletzt zitierten Bericht heißt es weiter: „Die von Beilig unternommene Provokation auf der Grenzmauer, seine Festnahme und Zuführung zum Führungspunkt der NVA-Grenze, konnte von den auf einem Podest auf Westberliner Gebiet anwesenden drei Westberliner Polizisten, einem Zivilisten und von ca. 100 Personen, die sich an der Begrenzung auf dem gebiet der Hauptstadt der DDR, Unter den Linden, befanden, beobachtet werden. Es wurden keine Informationen bekannt, daß eine in den Vortragsräumen des Brandenburger Tores befindliche Delegation von 39 Bürgern der CSSR Feststellungen über die Provokation und Festnahme des Beilig traf…" Am Ende des Berichtes heißt es: „Mit dem Ziel, diese Grenzprovokation als einen schwerwiegenden Angriff gegen die von der Regierung der DDR in den Verhandlungen mit Vertretern der Regierung der BRD und des Westberliner Senats angestrebte weitere Entspannung der politischen Situation zu entlarven, sind folgende Maßnahmen vorgesehen: 1. Umfassende operative Aufklärung und Ermittlung des Charakters und der Zielsetzung dieser Grenzprovokation und der Auftraggeber, insbesondere zu den Pressefotografen … und der Verbindung des Beilig zu anderen feindlichen Dienststellen, Organisationen, zu westlichen Publikationsorganen sowie zu extremistischen Kreisen in der BRD und Westberlin. 2. Da die Provokation, die Festnahme, der erste Fluchtversuch nach der Festnahme und der Abtransport des Beilig in das Krankenhaus der Deutschen Volkspolizei von mehreren Personen auf Westberliner und DDR-Gebiet wahrgenommen wurde, wird zur Abdeckung nachgewiesen, daß Beilig einen Angehörigen der Grenztruppen tätlich angriff’, (handschriftliche Ergänzung) wodurch ‚die Anwendung der Schußwaffe’ (handschriftliche Ergänzung) notwendig war. 3. Eine Verlagerung der ‚Todeszeit’ (handschriftliche Ergänzung), entsprechend den sich aus den weiteren Überprüfungen ergebenden Möglichkeiten beurkunden zu lassen…“

Doch die einfache Notwehrthese scheint den Behörden zu wenig. Zwei Tage später, am 4. 10. 1971 um 12 Uhr, fordert in einem Anruf Genosse Major Wolf, HA IX/9 laut schriftlichem Telefonvermerk:
„1. Einen sauberen Festnahmebericht vorbereiten, wie bereits am 2. 10. abgesprochen wurde. 2.  Dazu als Anhang einen ausführlichen Bericht über alle Umstände der Festnahme einschließlich der getroffenen Feststellung vorbereiten, worin der Widerstand des B. enthalten ist. Wie bereits am 2. 10. besprochen wurde. 3. Einen Kommandeur auswählen, der diese Dokumente unterschreibt und siegelt, ihn noch nicht ansprechen. 4. Alle Ermittlungen zur Aufklärung der beiden Reporter einleiten, alle Materialien dazu sammeln, besonders solche Tatsachen schaffen, daß sie sich für Sensationen interessieren. 5. Ein Teil der MPi, die B. nach seiner Festnahme ergreifen wollte, mit den Fingerspuren von ihm versehen. Die Waffe anschließend wieder zusammenbauen und begutachten lassen, um die Beweisführung für den Tatsachenbericht zu sichern. 6. Die westliche Presse hat geschrieben, daß B. ‚Willy’ gerufen hat. Prüfen, ob durch nochmalige Vernehmung der Posten das widerlegt werden kann. Dazu nach Möglichkeit Gegenbeweise schaffen. Nochmals mit X , X und X (Namen in den Unterlagen geschwärzt) dazu unterhalten. 7.  Alle Vorbereitungen zur Schaffung einer Akte, die übergeben werden kann, treffen, aber noch mit keinen anderen Personen darüber sprechen. 8. Maßnahmen einleiten, um den Zusammenhang zwischen B. und den Reportern und deren Zusammenwirken nachzuweisen. 9. Zur Zeit wird von unserer Seite noch nichts unternommen, alles läuft intern über Volpert, zur Zeit keine offensiven Maßnahmen. 10. Maßnahmen im Gerichtsmedizinischen Institut normal unter unserer Absicherung laufen lassen.  X selbst noch nicht ansprechen. – Diese Maßnahmen wurden von Gen. Wolf mit den Genossen Heinitz und Fister abgesprochen, inwieweit darin die Vorstellung von weiter oben enthalten sind, war ihm nicht bekannt.“

Vom 8. Oktober 1971 liegen zwei Schreiben der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin Abteilung IX  vor. In dem an das Ministerium für Staatssicherheit Hauptabteilung VII/1 werden die Mitarbeiter des Volkspolizeikrankenhauses genannt, die von der Einlieferung Dieter Beiligs Kenntnis hatten, zwei Ärzte, eine Schwester und zwei Sekretärinnen. In dem anderen an den Operativ-Technischen Sektor Abteilung 32/TU wird ein Untersuchungsauftrag erteilt, in dem es um Fingerspuren auf der Maschinenpistole geht und ein Gutachten angefordert wird. Vom 11. 10 liegt dann eine Aktennotiz des Sachverständigen für Daktyloskopie, Leutnant Berndt, vor in der es heißt: „Bei den auf der Maschinenpistole K Nr. C 6265 festgestellten Papillarleistungen 1, 2 und 3 handelt es sich um Abbildungen, die durch einen gemeinsamen Greifakt entstanden sind. Die Lage der Spuren auf der Maschienenpistole lassen die Schlussfolgerung zu, daß mit der rechten Hand von obenher über den Gehäusedeckel die Maschinenpistole angefasst wurde“ Schließlich heißt es in einer Notiz der Verwaltung für Staatssicherheit Groß –Berlin Abteilung IX an das Ministerium für Staatssicherheit HAVII vom 22. 10. 1971: „Es wird gebeten, zu veranlassen, daß beigefügtes Gutachten der technischen Untersuchungsstelle des MfS beim Kriminalistischen Institut des MDI umgearbeitet wird, so daß es den Charakter eines offiziellen Dokuments dieses Instituts trägt.“

Um auf mögliche Nachforschungen aus dem Westen vorbereitet zu sein, waren in den Stunden und Tagen nach der Tat alle zuständigen Hauptabteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) damit befasst, die Tötung zu verschleiern und ihr eine Notwehrlegende zu verschaffen. Aus dem Opfer musste ein Täter werden, die Grenzprovokation sollte als ein schwerwiegender Angriff entlarvt werden.

Wie reagierte man im Westen auf die Ereignisse?

Doch war die Sorge vor Nachforschungen im Westen unbegründet. Das Interesse an dem, was sich am 2. Oktober 1971 an der Mauer am Brandenburger Tor zugetragen hatte, war sehr gering. Trotz des hohen Bekanntheitsgrades von Dieter Beilig wurden die Ereignisse nicht mit ihm in Verbindung gebracht. Die Presse berichtete kaum. „In offenbar angetrunkenem Zustand“ sei der Mann gewesen, heißt es in der kurzen Notiz in der „Morgenpost“ und in der „Welt“ wird er als „offensichtlich geistig verwirrter, etwa 25jähriger Westberliner“ bezeichnet.
Auch Nachforschungen durch die Polizei, die den Vorgang zumindest bis zur Inhaftierung Dieter Beiligs beobachtet hatte, sind nicht bekannt. Er galt jahrzehntelang als verschollen.
Lange tauchte sein Name weder in der von der West-Berliner Polizei geführten Statistik der Maueropfer noch in der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter auf, da der Tod nicht offiziell festgestellt wurde. Die Arbeitsgemeinschaft 13. August vermerkte nur, dass er von DDR-Grenzern auf der Flucht erschossen worden sein soll.
Auf die Jahre des Widerstands gegen die Teilung der Stadt nach dem Bau der Mauer waren inzwischen die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage durch politische Verhandlungen und ein pragmatischer Umgang gefolgt. Provokationen gegen die Mauer galten nicht mehr als opportun.

Erst nach der Wende fanden sich im Archiv der Staatssicherheit Unterlagen über den Tathergang. Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft ergaben, daß der Täter bereits Anfang der 90iger Jahre verstorben war. 1999 wurden auch die „Schreibtischtäter“ freigesprochen und die Akten geschlossen.
In den Akten ist von Einäscherung die Rede. Die sterblichen Überreste des Toten wurden nicht den Angehörigen übergeben. Ein Grab existiert nicht.

Öffentlich wurde der Fall erst durch die Nachforschungen von Petra Uhlmann/Akademie der Künste, die sich, in Vorbereitung des Einzugs in den Neubau,  im Jahr 2000 mit der Geschichte des Akademie-Gebäudes am Pariser Platz befasste.
In ihrem Haus an Dieter Beilig zu erinnern, ist der Akademie der Künste Verpflichtung.

english translation


Foto aus einem behelfsmäßigen Personalausweis von Berlin (West), 1966 (Foto BStU)

Bei einer Demonstration, um 1961 (Foto BStU)

Eingang zu den Räumen der Grenztruppen im öffentlich nicht zugänglichen Gebäudetrakt der Akademie am Pariser Platz (Foto Reuss)

Blick in die Grenzverletzer-Zelle um 1993 (Foto Reuss)

Ehemaliger Raum der Grenztruppen, Zustand um 1995. (Foto Werner Durth)

Während des Umbaus, 2000 (Foto Riki Kalbe)