1974

Wieland Förster

Das Œuvre des Bildhauers, Malers, Zeichners und Schriftstellers Wieland Förster erinnert beständig an das Leid im 20. Jahrhundert. Die Bombardierung Dresdens und seine dreijährige Haft in Bautzen konfrontieren ihn mit zahlreichen meist unschuldigen Opfern. Die Beobachtung dieser Auswirkungen politischer Willkür veranlasst ihn, Mahnung und Gedenken zum Thema seiner künstlerischen Arbeit zu machen. Förster ist bis heute ein im besten Sinne unbeugsamer und widerständiger Künstler, dessen Hauptmotiv der gebrochene menschliche Körper ist. Er setzt sich zudem sein Leben lang intensiv mit Werken seiner Künstlerkollegen und Zeitgenossen wie Bernhard Heiliger, Hans Wimmer, Walter Arnold, Fritz Cremer, Marino Marini und Franz Fühmann auseinander.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„In diesem Spannungsfeld zwischen freier Entfaltung und Bedingtheit stehen alle neueren Arbeiten Wieland Försters“ (Auszug Laudatio)

Wieland Förster gehört zu den interessantesten Bildhauern der mittleren Generation, die ihre künstlerische Ausbildung bereits in der Deutschen Demokratischen Republik erhalten hat und deren reiche künstlerische Arbeit immer mehr die Entwicklung unserer Bildhauerkunst prägt.

Sein erster, unverwechselbarer Beitrag zur Kunst der DDR waren Arbeiten wie der Stehende Mädchenakt aus den Jahren 1961–63. Eine feste, klare Form, naturnah, aber entschieden harmonisiert, verwies auf Vitalität, auf körperliche Gelöstheit, auf die ideale Entsprechung von Mensch und Welt. Hierbei blieb Förster aber nicht stehen. In den qualvoll geballten, schweren Massen seiner meist als Torso konzipierten Arbeiten von 1966/67 gestaltete er ein zunächst ganz körperlich verstandenes Leid, das er schließlich im Männlichen Torso, 13. Februar 1945 zum Sinnbild des in der Zerstörung sich behauptenden Menschlichen erhoben hat.

In diesem Spannungsfeld zwischen freier Entfaltung und Bedingtheit stehen alle neueren Arbeiten Wieland Försters – auch die scheinbar das problemlos Lebendige akzentuierende, sensibel durchgliederte Große Badende. Die zuzeiten einseitige Hervorhebung von Schmerz und Erdulden hatte die traditionelle idealisierende Darstellungsweise als zumindest ebenso einseitige Stilisierung erkennen lassen. Zu seinem Ziel wurde die eingehende, Widersprüche umgreifende, konkrete Gestaltung der Wirklichkeit. Förster ordnet sich damit der großen realistischen Richtung der Bildhauerei ein. Statt einen Akt oder ein Porträt einfach auf traditionelle Normen hin zu stilisieren, vertieft er sich in sein Modell, und es kann nicht ausbleiben, dass er Dissonanzen findet, deren Gleichgewicht problematisch bleibt. Statt ein weltfremdes Ideal auszubilden, das eigentlich nur noch auf das Atelier verweisen kann, in welchem es entstanden ist, lehrt diese Bildhauerei eine realistische Auffassung der Welt.

Die Wirklichkeitsmacht und konkrete Freiheit des Realismus aber erfordert auch einen erweiterten Bewegungsraum der künstlerischen Form, sowohl ein differenziertes Eingehen auf das Objektive wie den vielseitigen Ausdruck des Subjektiven. Viele Zeichnungen Wieland Försters sind in diesem Zusammenhang als Forschungen und Experimente des Bildhauers zu verstehen. In ihnen studiert er die gewachsene Form der Natur, zeigt er, wie das Wachsen auf Widerstand stößt – sogar in den Dingen selbst –, so dass ihre Form eigentlich von den Narben eines immerwährenden Kampfes gebildet wird. Deshalb faszinieren ihn die Risse und Verschiebungen, die aufbrechende Oberfläche der tunesischen Felsen, das schwierige Wachstum der Ölbäume. Es ist für Wieland Förster aber höchst charakteristisch, dass er dieser Auffassung der Realität eine zögernde Vortragsweise überlagert, die alles in die Schwebe bringt, mit der er Distanz und Überwindung andeutet. In einigen Blättern ist dies subjektive Moment noch stärker, es steigert den Blick auf die konfliktreiche Realität zur Vision freier Bewegtheit.
Auch in seinen Porträts führt Förster die scheinbare Ruhe der Realität auf ihre Dynamik zurück. Die Persönlichkeit von Hanns Eisler und Zoltán Kodály, Walter Felsenstein und Otmar Suitner, Otto Niemeyer-Holstein und Franz Fühmann wird konzentriert und vielseitig erfasst und gedeutet, indem im Physiognomischen ihre innere Bestrebensrichtung gezeigt wird. Unverkennbar legt der Künstler darauf Wert, seine Modelle als Gewordene zu zeigen, die noch ständig werden: immer in einer Wendung zur Welt, die ihre Aktivität des Wollens, Fühlens, Denkens erst unverwechselbar bestimmt. Die Subjektivität des Künstlers, seine Neigung zum Modell, hat die Kraft, ihr Gegenüber aufzuschließen, mit ihm ein Gespräch zu führen und uns daran zu beteiligen. Diese lebendige, intensive Porträtkunst ist der wichtigste Beitrag Wieland Försters zur Bildhauerei des sozialistischen Realismus – ein Beitrag, der die Mitglieder der Sektion Bildende Kunst bestimmt, Wieland Förster mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 1974 der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik auszuzeichnen.