2001

Jürgen Schön

Die Objekte von Jürgen Schön sind abstrakt und entstehen in bildkünstlerischen Transformationsprozessen, in denen der Bildhauer durch das Schichten von Papierlagen intuitiv Formen bildet. Die farbig reduzierten Werke folgen dabei keinem konkreten Referenzsystem. Schöns Raumobjekte wirken in ihrem architektonischen Umraum leicht und sinnlich. Durch die Reduktion von Farbe und Form und den Verzicht auf Deutungshinweise wird die Wahrnehmung der Betrachtenden auf die materielle Objektivität gelenkt. In seinen Zeichnungen untersucht Schön zentral auf dem Blatt angelegte Formen, die an Alltagsgegenstände erinnern.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Jürgen Schöns Werk – das sich im Wechsel zwischen Skulptur und Zeichnung entfaltet – ist zuerst durch ein beharrliches und zugleich leises Erforschen bildnerischer Gesetze gekennzeichnet.“
(Auszug Laudatio)

Objekte von Jürgen Schön – sie muten bekannt und fremd zugleich an. Glaubt man, sie in den Bereichen des Organischen, des Technischen oder gar des Anthropomorphen festmachen zu können, so entziehen sie sich sofort einer solchen Klassifizierung. Denn offensichtlich geht es hier um eine Art Verführung, sich dem Objekt zu nähern. Beim genauen Betrachten nämlich fehlen diesen Kreationen eigentlich alle Verbindungen zu Bekanntem. Das bezieht sich nicht nur auf das meist verwendete Material Papier, das von vornherein so gut wie jede objekthafte Nutzung unmöglich macht. Material – und die Form dann auch lassen diese Gebilde als gänzlich isoliert, einsam erscheinen. Die Aura der Einsamkeit, das In-sich-Abgeschlossensein kontrastieren wiederum merkwürdig mit der Deutlichkeit, der Eindringlichkeit, mit der uns Schöns Plastiken entgegentreten. Manchmal klein, fast schmächtig, vermögen sie dennoch Raum um sich herum zu bilden. Anfangs zum Teil fast unbemerkt, sind sie doch da. Sie lassen tiefes Ein- und Ausatmen zu, evozieren Innehalten, Gelassenheit, Stille und Konzentration inmitten der von allen Seiten hereinprasselnden Geschwätzigkeit einer Spaßgesellschaft.

Die Akademie der Künste möchte mit der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises die außenseiterische Haltung dieses Künstlers mit Nachdruck unterstützen und anerkennen.

Der Jury gehörten an: Dieter Appelt, Michael Schoenholtz und Klaus Staeck

Laudatio, vorgetragen von Matthias Flügge anlässlich der Preisverleihung am 26. August 2001:

Meine Damen und Herren,

den Käthe-Kollwitz-Preis 2001 erhält der Dresdener Künstler Jürgen Schön. Wir können das als eine mutige Entscheidung der Jury begrüßen, als ein Plädoyer für ein Werk, welches beharrlich und konsequent auf einer Außenbahn des lauten Kunstbetriebes vorangebracht worden ist – also dort, wo es mehr Kraft wie hoffende Zuversicht kostet, ans Ziel zu gelangen.

Jürgen Schöns Arbeiten waren immer wieder in Ausstellungen und auf Kunstmessen zu sehen. Dort sandten sie Zeichen aus, Zeichen einer fragilen Ewigkeitlichkeit, die – Contradictio in Adjecto – für eine Haltung zur Kunst stehen, in der das zeitlich Archaische als neue Gegenwärtigkeit hervortritt.
Jürgen Schöns Werk – das sich im Wechsel zwischen Skulptur und Zeichnung entfaltet – ist zuerst durch ein beharrliches und zugleich leises Erforschen bildnerischer Gesetze gekennzeichnet. Es entwickelt sich entlang einer grafischen und skulpturalen Poetik von hohem Sublimationsgrad und hat in sich doch vielfältige gegenwärtige Bezüge aufgenommen. Schön variiert die Erscheinungsform des Objektes zwischen Darstellung und Erfindung, zwischen Authentizität und innerkünstlerischer Gebundenheit, zwischen Ganzheit und Fragment. Den weithin gängigen Flucht-Formulierungen medialer Beliebigkeit hingegen hat er stets durch Kargheit und zugleich Dichte des Empfindens widersprochen. Zudem hat er auf dem Feld der Zeichnung, die im Moment wieder zu neuer Wertschätzung gelangt, eine sehr persönliche Sprache ausgebildet. Wo Ortlosigkeit sich ausbreitet und Erinnerung nicht mehr halten kann, setzt dieser Künstler wunderbare Zeichen schweigsamer Einsicht.
In seinen objekthaften Skulpturen überführt der Künstler ein grafisch strukturiertes Denken in Raumformen. In beiden Ausdrucksweisen aber bewahrt Schöns im Kern rationale Recherche nach der Essenz seiner Mittel einen deutlichen Werkcharakter; nichts lässt sich von Theoremen absorbieren, jede einzelne Arbeit stellt sehr nachdrücklich und ohne jede Spur von verlustgezeugter Larmoyanz die Frage nach der Bedeutung und Möglichkeit der sogenannt traditionellen Formen in der zeitgenössischen Praxis.
Jürgen Schön, dessen künstlerischer Weg seit seinen Anfängen in Dresden schon immer von beträchtlichen Erwartungen begleitet war, hat vor etlichen Jahren die klassischen Materialien der Skulptur verlassen und sich dem Papier, das heißt gebundenen faserigen Massen von natürlicher Herkunft zugewandt. 1956 geboren, hat er eine klassische Ausbildung als Steinmetz und Bildhauer erfahren, beherrscht also die plastischen wie die skulpturalen Methoden der dreidimensionalen Kunst gleichermaßen.
Im Katalog können Sie einiges über jüngste Kunstgeschichte des Materials Papier im räumlich-bildnerischen Zusammenhang nachlesen, das allerdings, soweit ich sehe, schon vor der eigentlichen Moderne, seit seiner Verwendung für barocke Kulissen immer wieder eine – wenn auch randständige Rolle innehatte. Formbarkeit und haptische Oberflächen zeichnen es aus, es kann eingefärbt oder im kruden, naturgegebenen Zustand belassen werden. Seine Dichte und Fragilität sind durch die verwendeten Bindemittel bestimmbar, es kann durch Hölzer oder Kartonagen gestützt werden oder durch statischen Ausgleich von lastenden und strebenden Kräften in sich selbst eine erstaunliche Festigkeit beweisen. Der Papierbrei – oder das Papiermaché – bildet gewissermaßen eine plastische Ursuppe. Der Bildhauer, der sich ihrer bedient, muss über bestimmte architektonische Fähigkeiten der Verfestigung verfügen. Man könnte nun über den Symbolgehalt des Begriffs Verfestigung weiter reflektieren, eine Spur wäre durch den Hinweis gelegt, dass „macher“ im Französischen wörtlich zerkauen bedeutet und die Wendung „macher les mots“ auf eine Verundeutlichung der Sprache hinweist.
Aber wir wollen es damit genug sein lassen. Immerhin: Aus dem Material resultiert eine kulturelle Konnotation, und zwar die einer geschichtlichen Magie. Cy Twombly – und auch in direkterer und deshalb weniger eindrucksvoller Weise Jürgen Brodwolf – haben in weitgefassten Allegorien diese Zusammenhänge repräsentiert. Gerade weil das Material Vergänglichkeit, Fragilität und Aufnahmebereitschaft im mehrfachen Sinn des Wortes evoziert, öffnet es sich einer archäologischen Erfahrung. Die Motive, die in den Skulpturen oftmals nur von fern anklingen, seien es architektonische oder auch mechanische Relikte wie Kapitelle, Säulen- oder Wandfragmente, Gefäße, Fliesen oder Scheiben, Räder und Wellen sind dabei nicht das wichtigste.
Vielmehr geht es um die Rekonstruktion eines wesenshaften Befindens, das uns an Ausgrabungsstätten vergangener Kulturen ereilt, wo sich die „Schleier über geschichteten Tiefen“ wie eine zentrale Arbeit Schöns heißt, heben, und wir im realen Raum vergangenen Lebens nicht nur eine Ahnung von diesem erhalten, sondern zugleich auf magische Weise gezwungen sind, unser eigenes Ende zu denken und, so uns etwas Phantasie verblieben ist, einen überzeitlichen Raum der Existenz imaginieren.
Jürgen Schön hat in den vergangenen Jahren weite Reisen unternommen, ich bin sicher, er ist dieser Erfahrung auch an fremden Orten ganz bewusst teilhaftig geworden und doch wäre es wohl zu eng, die Arbeit nur in diesem allemal verlockenden Zusammenhang zu sehen. Ebenso sind Twomblys historische und mythologische Poetisierungen wie Brodwolfs Grabesmetaphern nur ein reflektiertes Ingrediens seiner Arbeit, nicht aber deren Quelle.
Jürgen Schön geht es immer auch um die Verhältnisse zu den konkreten Räumen der Präsentation seiner Arbeit. Sie sind es, in denen Maß und – sagen wie es ruhig – auch Aura der einzelnen Skulptur zu einer Anwesenheit kommen, die der Künstler nur zu oft als subtile Form des Abwesendseins inszeniert. Will sagen: Der Gegenstand drängt nicht ins Blickfeld, vielmehr zieht er sich dahin zurück, von wo aus er den Raum mit einer Strahlung erfüllen kann. Zuweilen genügen ja schon minimale Eingriffe in eine gewohnte Raumstruktur, um sie gründlich zu verändern, sie zu verunsichern oder auch sie festlich zu machen. Wobei die Grenzen zwischen beidem fließend sind.
Erst hier, in Beziehung zum Raum und als Bezeichnung des Raumes entsteht das Geheimnis der Schönschen Skulpturen in einem sehr präzisen Sinne ihres Daseins.
Um noch einmal auf die elementare räumliche Sprachlichkeit dieser Werke zurückzukommen, möchte ich mit einem Wort von Maurice Blanchot schließen – und zwar einer Passage aus seinem Text: „Die wesentliche Einsamkeit“, in dem es um das Verbergen durch das Zum-Vorschein-Kommen und vice versa geht: „Aber das Werk“, schreibt Blanchot, „– das Kunstwerk, das literarische Werk – ist weder vollendet noch unvollendet: es ist. Was es sagt, ist ausschließlich dies: dass es ist und nichts weiter. Außerhalb dessen ist es nichts. Wer es mehr ausdrücken lassen möchte, findet nicht, findet, dass es nichts ausdrückt. Derjenige, der in Abhängigkeit vom Werke lebt, sei es, um es zu schreiben, sei es, um es zu lesen, gehört der Einsamkeit dessen an, was nicht ausdrückt als das Wort sein: Wort, welches die Sprache birgt, indem es sie verbirgt, oder erscheinen lässt, indem sie in die schweigende Leere des Werkes verschwindet. [...] das Werk ist nur Werk, wenn sich in ihm, in der Gewaltsamkeit eines Beginns [...] das Wort sein ausspricht: ein Ereignis, das sich vollzieht, wenn das Werk die sammelnde Intimität des Schreibenden und des Lesenden ist.“
In der bildenden Kunst, so wäre hinzuzufügen, spricht sich diese „sammelnde Intimität“ von Bildner und Betrachter zuerst als räumliche Beziehung aus. Diese eigentlich selbstverständliche und doch weithin verlorene Einsicht in jeder einzelnen Arbeit zu vergegenwärtigen, ist das grundlegende Prinzip von Jürgen Schöns künstlerischem Tun. Es ist der Ehrung und unserer Aufmerksamkeit wert.