5.7.2023, 14 Uhr

Zur Präsentation der Ausstellung „MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“

Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel und Akademie-Mitglied Friedrich Dieckmann zur Präsentation der Ausstellung „MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“, die noch bis zum 16.7.2023 in der Akademie der Künste am Pariser Platz zu sehen ist.

 

Zu den ausgestellten Biografien

In der Akademie der Künste wurde nach Eröffnung der Ausstellung „MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ die Egalisierung der unterschiedlichen Biografien infrage gestellt. So werden in der Ausstellung in einer alphabetischen Reihung nebeneinander die Porträts von Architekten, Ingenieuren, Baubeamten, Arbeitern u. a., die mit dem Naziregime kooperierten, und solchen, die ins Exil gingen, im Widerstand oder gar im Konzentrationslager waren, präsentiert. Wer die Texte unter den Fotos genau liest, kann diese Unterschiede durchaus erfahren; doch ist bei einigen Mitgliedern der Akademie der Künste die Sorge aufgekommen, dass Bilder stärker wirken als Texte und dadurch das Missverständnis einer unzulässigen Egalisierung der Biografien entstehen kann.

Jeanine Meerapfel, Präsidentin, Akademie der Künste, 5. Juni 2023

 

Selbmann neben Seldte, Liebknecht neben Ley?

Bizarre Nachbarschaften in „Macht Raum Gewalt“

„MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ – die noch bis Mitte Juli geöffnete Ausstellung im Gebäude der Akademie der Künste am Pariser Platz, die in den Händen einer 2017 vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit unter Bundesministerin Barbara Hendricks einberufenen siebenköpfigen Historikerkommission lag, welche das kuratorische Team zusammenstellte, neigt sich dem Ende zu. Sie ist in Funk und Presse vielfach gewürdigt und besprochen worden; mit Interesse schloß ich mich Mitte Mai einem geführten Rundgang an. Ich glaubte diese gedrängt volle Präsentation von Baudokumenten des Schreckens und der Überhebung durchmessen zu haben, bis ich in ihrem letzten Raum eines Phänomens innewurde, das meine Fassungskraft nachgerade überstieg. Es tut dies noch heute; es geht um die bizarre Erscheinung, daß an den Wänden dieses Raums in zwei Reihen und alphabetischer Abfolge einhundertfünfzig mit Porträtfotos bebilderte Kurzbiographien von „Akteuren“ (so das Begleitbuch der Ausstellung) erscheinen, die auch Menschen umfassen, die entweder während der ganzen Nazizeit im Exil waren wie der nach Schanghai emigrierte Architekt Richard Paulick und der nach Moskau emigrierte Rechtsanwalt Lothar Bolz oder aber die ganze Nazizeit im Gefängnis bzw. im KZ verbrachten, wie der gelernte Bergmann und nachmalige Landtags- und Reichstagsabgeordnete Fritz Selbmann.

Eine dritte Gruppe derer, die hier unter „Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ subsumiert werden, umfaßt Menschen wie den späteren DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph und den im Bauministerium der DDR tätigen Walter Pisternik; beide waren während der Nazizeit im Widerstand aktiv und hatten allenfalls in ihrem Beruf als Maurer bzw. Techniker mit dem Bauen des Hitler-Regimes zu tun. Alle diese und viele andere – zum Beispiel der Architekt Ernst Scholz, der 1937 emigrierte, im Spanischen Bürgerkrieg und in der französischen Résistance kämpfte und in der DDR 1963 Bauminister wurde, der Architekt Kurt Junghanns, der, 1933 zur illegalen KPD stoßend, seit 1937 Gefängnis und KZ-Haft erlitt, der Bauhausdirektor Mies van der Rohe, der, sich in Deutschland nach 1933 mit Ausstellungsarbeiten durchschlagend, 1938 ins amerikanische Exil ging, oder der Architekt Kurt Liebknecht, der Deutschland schon 1931 verlassen hatte – sie alle stehen in alphabetischem Reih und Glied nicht nur mit prominenten Architekten dieser trostlosen Periode wie Paul Troost und Wilhelm Kreis, sondern auch mit Architektur-Organisatoren verbrecherischen Formats wie Fritz Todt und den in Nürnberg angeklagten Robert Ley, Fritz Sauckel, Albert Speer und Ernst Seldte. Fotos machen das Konglomerat dieser Wände sinnfällig: bizarre Nachbarschaften ohne Ende.

War ich der einzige, der eine solche schon aus rein logischen Gründen absurde Zusammenstellung nicht nur befremdlich, sondern skandalös fand? Sie wird kaum weniger anstößig dadurch, daß sich bei genauerem Hinsehen an der Wand eine Schrifttafel findet, die auf die Heterogenität der Abgebildeten hinweist, ohne daraus jedoch die Folgerung zu ziehen, daß die Genannten und viele andere eben darum nicht in eine Reihe unter der Überschrift „Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ gehören. Denn das zunehmend zentral regulierte Planen und Bauen in der Sowjetischen Besatzungszone und dann der DDR war eben nicht Planen und Bauen im Nationalsozialismus bzw. Hitlerfaschismus. Ein Beitrag von Wolfram Pyta im Begleitbuch der Ausstellung (und ebenso das zehnseitige DDR-Kapitel des vielbändigen Forschungsberichts der siebenköpfigen Ministerialkommission) weist das auch deutlich aus, ohne jedoch zu erklären, warum alle diese dann in jener Portätgalerie vorkommen, die der von vier vorangegangenen Räumen ermattete Besucher ohne weiteres als Tätergalerie aufnimmt.

Die Ausstellung hat kein Gästebuch ausgelegt, das die Eindrücke der Besucher wiedergäbe. Die FAZ widmete ihr am 3. Mai einen eingehenden Kommentar, der an der 150fachen Porträtreihe kommentarlos vorüberging, nicht anders die Rezensenten der Süddeutschen Zeitung oder der Berliner Zeitung. Die nach der Eröffnung der Ausstellung am 18. April ergehende dpa-Meldung verkündete: „Die Ausstellung beleuchtet 150 Biographien von Bauschaffenden, die vor 1945 im Bauwesen leitend tätig waren und von denen die meisten nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzen konnten.“ Das ist eine von vielen publiken Äußerungen, die bezeugen, daß die Schrifttafel, die erklärt, daß hier ganz verschiedene Biographien in Reih und Glied gestellt sind, auch fachkundig aufmerksame Besucher nicht erreicht. Einer hat gemerkt, daß hier etwas nicht stimmt, Jürgen Tietz schrieb in dem Webportal Marlowes.de: „Hinter dem NS-System und seinem Terror standen immer einzelne Menschen. Doch wie kann es sein, daß da der ‚Reichsstatthalter’ in Thüringen, der in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtete Fritz Sauckel, in alphabetischer Ordnung einfach so neben dem Architekten Hans Scharoun gezeigt wird? Zeitgenossenschaft als hinreichendes Verbindungsglied? Wirklich?“

Über puren Unsinn, wie er hier mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit inszeniert ist, daß nämlich Menschen, die gar nicht im Lande waren, hier einbezogen sind, kann man sich aufregen; man kann Briefe schreiben und dann darauf warten, ob etwas Korrigierendes geschieht. Aber jenseits aller naheliegenden Empörung bleibt die Frage, was dieses bildhaft-suggestive Ineinanderühren des total Divergenten bedeutet, welches Menschen- und welches Geschichtsbild hinter ihm steht. Diese Frage stellt sich auch, wenn man hier mit wie anklagend ausgestrecktem Finger auf Architekten verweisen sieht, die in der Nazizeit, ohne deren Demagogie zu verfallen, Bauaufträge aller, auch verfänglicher Art annahmen, einfach um sich über Wasser zu halten.

Wird hier mit polittheologischer Volte eine untilgbare Kollektivschuld statuiert, in der Art, wie eine von Staats wegen mit Kultur beauftragte Amtsträgerin kürzlich einen nicht aus Deutschland stammenden, aber seit langem eingebürgerten Kulturhausdirektor bei seiner Amtseinführung gleichsam neckisch als nunmehriges Mitglied der „Täternation“ apostrophierte? Hält man es für ausgeschlossen, daß vom und zum Hitlerismus Verführte ihren Irrtum nach der Katastrophe des Reichs einsahen und sich aus Überzeugung neuen geistigen Horizonten zuordneten? Sind Lernen und Selbstkritik a priori Heuchelei? Könnte es nicht sein, daß auch der der Hitlerei mit Furcht und Abscheu gegenüberstehende Architekt aus Existenznot fragwürdige Aufträge annahm? Oder hätte er lieber ins Exil gehen sollen? Er wäre dann, wie sich zeigt, trotzdem in diese Tätergalerie geraten.

Daß die geistigen Horizonte, denen sich einige der Abgebildeten im Osten des geteilten Nachkriegsdeutschlands zuordneten, unter dem Zeichen des Sozialismus standen, scheint den Ausstellungsmachern als strafverschärfend gegolten zu haben; wie wäre es sonst zu erklären, daß sie Menschen, die entweder gar nicht im Lande oder gar nicht in einem Bauberuf oder aber dauerhaft im Gefängnis waren, ihrer Bilderreihe einbezogen? Alles dies sind Fragen, die ich, unvertraut mit Denkweisen beziehungsweise Denkabwesenheiten wie den hier zutage tretenden, nicht beantworten kann. Womöglich handelt es sich nur um den blinden Fleck auf der Netzhaut eines zehnköpfigen Kollektivautors, die zuviel Facetten hatte, um noch klarsehen zu können. Man sollte, sagte mir beim Hinausgehen ein Mitglied der an der Ausstellung offenbar unbeteiligten Klasse Baukunst der Akademie, solche Ausstellungen nicht nur Historikern überlassen. Vor allem sollte man, wenn man die Nachkriegsarchitektur des geteilten Deutschlands und ihre Träger in Sicht bringen will, dies nicht als Appendix in eine Dokumentation zum Bauen in der NS-Zeit quetschen. Es verdient und erfordert eine eigene Ausstellung, und es gibt Vorbilder dafür.

Im Journal der Akademie, Nr. 20, S. 12, ist ein Mitglied der die Ausstellung und die ihr vorangegangene vierbändige Publikation verantwortenden Historikerkommission, die Professorin Regina Stephan, auf die Bilderreihe eingegangen. Ihren Hinweis, „dass viele Verantwortungsträger nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten und ihre aktive Beteiligung am Bauen der NS-Zeit verdrängten, verharmlosten und ausblendeten“, versieht sie mit dem Zusatz: „Dies dokumentieren eindrucksvoll 150 Kurzbiographien.“ 150, das sind alle; auch diese Fachkraft war außerstande zu bemerken, daß unter diesen 150 Kurzbiographien Exilianten, KZ-Häftlinge und aktive Widerstandskämpfer Platz gefunden hatten. Deren Tafeln herauszunehmen wäre das Mindeste gewesen, was eine verantwortungsvolle Ausstellungsleitung vor der Eröffnung hätte verfügen müssen. Es wurde versäumt und nicht etwa nachgeholt. Aber es gilt es dankbar zu vermerken, daß es der Präsidentin der Akademie nach vielen Wochen gelungen ist, sich in einer zusätzlich in Raum 5 angebrachten Tafel deutlich gegen die Egalisierungssuggestion dieser Bilderreihe zu wenden.

Friedrich Dieckmann