Schülerprojekte

100 Schüler - 10 Mitglieder

9. Dezember 2008 -- Friederike Mayröcker und Schüler des Wiedner Gymnasium Wien in der Alten Schmiede

„Wann ist ein Gedicht fertig?“


Keiner der neun Schüler und Schülerinnen des Wiedner Gymnasiums kannte Friederike Mayröcker, bevor sie am 9. Dezember 2008 auf die Dichterin und Schriftstellerin in der Alten Schmiede Wien trafen. Friederike Mayröcker hatte sich bereit erklärt, einige ihrer älteren und neuesten Gedichte - die sogenannten „Scardanelli-Gedichte“ - zu lesen und Fragen der Schüler/innen zu beantworten. Und dass, obwohl sie von sich selbst sagt, dass sie zwar ihre Gedichte schreiben, jedoch nicht erklären könne.

Schreiben Sie auf sich bezogen oder schreiben sie auch über Dinge, die nicht unbedingt etwas mit Ihnen zu tun haben?
Meistens schreibe ich über Gefühle oder Gedanken, die ich selber habe, aber ich schreibe auch über Dinge, die ich von anderen Menschen erfahren habe. Wenn jemand einen Satz sagt, der mich aufreizt, der mich reizt, dann schreibe ich ihn mir sofort ins Notizheft.

Wann wissen Sie, dass ein Gedicht fertig ist?
Es gibt Gedichte, die in ganz kurzer Zeit fertig sind und ich spüre das körperlich. Dann gibt es wieder andere Gedichte, an denen ich ein paar Tage arbeite und wenn es allzu lang dauert, weiß ich, dass aus dem Gedicht nichts mehr wird und tue es weg. Aber die meisten sind dann innerhalb von kürzester Zeit fertig, die sogenannten „Sekunden-Gedichte“.

Gibt es Gedichte, die Sie nicht veröffentlichen möchten, weil sie mit zu vielen persönlichen Erinnerungen verbunden sind?
Nein, in diesem Fall gebe ich das Gedicht auch nicht aus der Hand, dann wäre es auch nicht fertig. Es muss so sein, dass ich es veröffentlichen kann. Man glaubt auch, dass andere Menschen nichts damit anfangen können, aber es gibt viele meiner Gedichte, die vielleicht schwierig sind, die aber von anderen sehr gut verstanden werden.

Haben Sie nicht das Gefühl, viel von sich Preis zu geben?
Man gibt unendlich viel Preis, man gibt schamlos viel Preis, wenn man Gedichte schreibt. Und wenn diese Gedichte wahr sind, echt sind, gibt man besonders viel Preis. Aber das tut jeder Dichter und man muss sich auch nicht schämen dafür.

In einem Gedicht von Ihnen steht das Wort „pomp“. Was bedeutet das?
Ich verwende die sogenannte „Montage-Technik“, mit der man - wie die Maler in ihren Collagen - Worte verwendet, die nicht zum ganzen Satz passen, in den sie hineingesetzt werden.

Warum lassen Sie die Satzzeichen in ihren Gedichten weg?
Die Zeichensetzung mache ich nach Gefühl und nach Atem. Ich halte mich nicht an die korrekten Satzzeichen, sondern entscheide mit dem Atem. Der Text gehört zusammen, er muss intensiv bleiben und das kann am besten ausdrücken, in dem man keine Zeichen verwendet.

Was bedeutet das für Sie, dass Sie mit uns zusammentreffen? Sie haben doch viel mehr Erfahrung als wir…
Ich kann immer nur wiederholen, dass ich sehr, sehr gern mit jungen Menschen zusammen bin. Ich fühle mich selbst noch sehr jung. Im Grunde bleibt man derselbe Mensch auch wenn man alt ist. Ich habe oft das Gefühl, ich bleibe das siebenjährige Kind im sommerlichen Garten, das spüre ich so in mir. Das ist nicht weg. 



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...und das sagen die Schüler... 

- Nach dem Interview, das wir gelesen haben, wusste ich nicht genau, was ich erwarten soll, weil sie den Eindruck einer sehr speziellen Persönlichkeit erweckt hat. Ich schreibe auch und könnte mir nicht vorstellen, so zurückgezogen zu leben. Mein Eindruck von ihr hat sich aber als positiver erwiesen.

- Ich habe mir Frau Mayröcker ganz anders vorgestellt, viel ernster und nicht so aufgeschlossen uns gegenüber. Ich hatte ganz klischeehafte Vorstellungen: verschlossen und mit der Haltung „Ich will nicht über meine Gedichte reden“. Sie war jedoch sehr offen uns gegenüber.


- Ich finde es viel besser, wenn sie selbst vorliest, als wenn ich selbst lese. Zum Beispiel habe ich mich oft gefragt, wie ich das verstehen soll, was in den Klammern steht. Als sie die Gedichte vorgelesen hat, hat alles viel mehr Sinn ergeben.

- Die Grundstimmung der Gedichte bekommt man schon immer mit, aber so einzelne Sachen hatte ich beim Lesen vorher nicht verstanden. Beim Vorlesen versteht man die Gedichte besser, weil die Emotionen mehr mitschwingen. Gerade bei den verschachtelten Sätzen und der eigenwilligen Zeichensetzung habe ich mich gefragt, wie ich das wahrnehmen soll. Ausgesprochen ist es wie in den Gedanken; die sind ja auch nicht immer nacheinander, aber man versteht es trotzdem.

Fotos: Miriam Papastefanou