Hintergrund zum Festival

Der Siegeszug der digitalen Technik im künstlerischen Bereich ist ihren immensen Vorteilen zu danken. Neben dem genauen Zugriff auf die Binnenstruktur des Klangs -  faktisch alle vom menschlichen Ohr wahrnehmbaren Schwingungen können einzeln abgebildet werden - liegen die Verlockungen des Systems vor allem in seiner Schnelligkeit und den quasi unendlichen Erweiterungen des akustischen Materials. Nicht mehr die Instrumente allein bilden den Orientierungshorizont der Fantasie, sondern die Totalität alles Klingenden ist potenzielle Ressource. Eine zuvor nicht gekannte Unabhängigkeit von Aufführungs- und Verbreitungsbedingungen verleiht dem Komponisten eine neue Art von künstlerischer Autonomie.

Diesen Möglichkeiten allerdings stehen substantielle Einbußen gegenüber. Die rasch herzustellende "Verklanglichung" generiert eine Überfülle an musikalischen Angeboten, die das Auswahl- und Entscheidungsvermögen des Komponisten herausfordern.

Auch für die Klangvorstellung sind Veränderungen zu beobachten. Die unmittelbare Aufbereitung des Klangs, der wie ein Objekt bearbeitet und in seinen Eigenschaften sofort geprüft werden kann, hat die Notwendigkeit einer inneren Projektion und geistigen Vergegenwärtigung zu großen Teilen abgelöst. Ähnliches betrifft seine Charakteristik und "Körperlichkeit". Vor allem die kommerziell ausgerichteten Presets verleiten zu einer "vorgemischten Welt". Um dem entgegenzuwirken, haben viele Künstler subversive Strategien entwickelt, die den Computerabsturz oder Rechenfehler ästhetisieren und so standardisierte Vorgaben in schöpferische Verfahren wenden.

Die Arbeit mit digitalen Speichermedien beeinflusst auch den Habitus des Künstlers, der zunehmend in einen Dialog mit der Maschine verwickelt wird. Wie er also heute sein eigener Instrumentenbauer ist, ist er ebenso sein eigener Performer. Im Verzicht auf die zusätzliche Gestaltungsebene durch Interpreten nimmt er deutliche Intensitätsverluste in Kauf. Um dies zu kompensieren, gehen Komponisten verstärkt Kooperationen mit Vertretern der anderen Künste ein, besonders aus den Sparten Video und Tanz, und kooperieren mit Programmierern in teils symbiotischen Produktionszusammenhängen.

Björn Gottstein, Evelyn Hansen / Oktober 2010

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