Zwei Kartoffeln

Die erste Arbeit, die Sigmar Polke für meine Edition realisierte, war 1969 der „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“ – eines seiner ganz wenigen Multiples, hergestellt in einer Auflage von 30 Exemplaren. Auf der Grundlage einer überdimensionalen groben Skizze baute den Apparat nach mehreren Anläufen mein Heidelberger Freund Jochen Goetze, ein promovierter Historiker mit handwerklichem Geschick.

Mit Goetze hatte ich 1969 das große Abenteuer „intermedia ’69“ in und um die Heidelberger Studentenheime am Klausenpfad organisiert. An drei Tagen im Mai strömten einige tausend Besucher zu einem der letzten großen Happening- und Fluxus-Festivals an den Neckar. Als alles vorbei war, bilanzierten wir als Veranstalter ein beachtliches Defizit. Vor allem zahlreiche Schäden an den angemieteten Gebäuden waren zu begleichen, u.a. war das Schieferdach des Amerika-Hauses nach einer der ersten Christo-Verhüllungen in der Bundesrepublik demoliert.

Joseph Beuys war als erster bereit zur solidarischen Unterstützung, er stellte eine Auflage seines Multiples „mit Schwefel überzogene Zinkkiste (tamponierte Ecke)“ für den Schuldenabbau zur Verfügung. Das war der Beginn einer Objekte-Reihe unter dem Label „tm70“ mit Arbeiten von Beuys, Filliou, Rinke, Roth, Spoerri, Staeck, Uecker und Weseler. Die „Kartoffelmaschine“, wie wir das Gestell im Laufe der Zeit nur noch nannten, fand zum Preis von 290.- DM anfangs kaum Käufer, inzwischen wird sie bei Auktionen zu Höchstpreisen versteigert.

Um nicht die 30 sperrigen Objekte für Signatur und Nummerierung in Polkes Wohnung in die Düsseldorfer Kirchfeldstraße zu transportieren, beschrieb er die Deckplatten vor dem Zusammenbau. Ganz in der Nähe im Fürstenwall hatten damals übrigens Gerhard Richter und Günther Uecker mit Gastrecht für Blinky Palermo sowie Klaus Rinke ihre Ateliers.

1972 folgte das Künstlerbuch „BIZARRE“ mit Fotos von übermalten CDU-Plakaten zur Bundestagswahl 1972. In dieser Dokumentation trafen sich unser beider politischen Überzeugungen. Nicht ganz zufällig enthält das Buch ein Foto von meinem damals tausendfach geklebten Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“, das mich seinerzeit in der Bundesrepublik bekannt machte.

Im gleichen Jahr erschien die Serie „Kölner Bettler“, 1974 das Blatt „New Yorker Bettler“, beide sah Sigmar Polke in meiner Edition am besten aufgehoben. Erst elf Jahre später arbeiteten wir wieder zusammen, 1985 entstanden drei Offsetdrucke ohne Titel. Dann dauerte es wiederum zehn Jahre, bis es zu der Edition „Sechs Richtige“ kam, Originale in einer Auflage von 30 Exemplaren. Als Material dienten Reste jener Folie, die Christo bei der „intermedia ’69“ zur Verhüllung des Heidelberger Amerika-Hauses verwendet hatte.

Ab dem Jahr 2003 kam es in rascher Folge fast Jahr für Jahr zu Editionen, viele geprägt von einer subtilen Konsumkritik. Dabei machte sich Polke stets Gedanken, ob die Blätter in meine durch Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Blinky Palermo, Dieter Roth, Nam June Paik und Wolf Vostell geprägte Edition auch wirklich passten. Besonderes Augenmerk legte er auf die Titelfindung. So zum Beispiel bei der Serie Der Erste Schnitt, Der Zweite Fall, Der Dritte Stand und den Blättern Filmverführung, Freistilübung, Betriebsfest, Preisvergleich.

Die teilweise recht langen Unterbrechungen in der Zusammenarbeit taten unserer vier Jahrzehnte währenden Arbeitsfreundschaft keinen Abbruch. In seinen Augen war ich jemand, der zur Verbreitung seiner Arbeiten effektiv beitrug. Unsere besondere Beziehung beruhte wohl mit darauf, dass ich für Sigmar Polke immer Künstlerkollege war, nicht nur ein Verleger oder Galerist.

Jeder, der Polke kannte, weiß, dass es nicht ganz einfach war, sich mit ihm zu verabreden und ihn zu treffen. Das ging auch mir nicht anders. Besonders innig kommunizierten später unser beider Faxgeräte. Ich habe weit über hundert Faxe aufbewahrt, in denen ich um einen dringenden Signier- oder Gesprächstermin bat. Wenn er gelegentlich einmal zurückrief, war die Freude groß; kam es dann gar zu einem Treffen, dauerte es meist viele Stunden und wurde immer zu einem kleinen Fest voller Heiterkeit und ironischem Schlagabtausch. Über eines dieser Signiergespräche existiert eine Tonbandaufzeichnung.

Leider habe ich erst spät damit begonnen, unsere Treffen fotografisch zu begleiten. Im Laufe der Zeit entstanden etwa zweihundert Porträtaufnahmen und Fotos seines Kölner Ateliers im Weiherstrasser Weg, erreichbar über den Gottesweg.

Die kleine und die große Politik blieb in unseren Gesprächen selten außen vor. Mich erstaunte, dass erst in den zahlreichen Nachrufen auf Sigmar Polke sein politisches Engagement, das in vielen seiner künstlerischen Arbeiten zum Ausdruck kommt, hinreichend gewürdigt wurde.

In Heidelberg habe ich Polke nur einmal getroffen, im Februar 1990. Er war zufällig in der Stadt. Als er in meiner Galerie den großen Kopierapparat sah, trat er sofort in Aktion, legte seinen Kopf auf die Scheibe und bearbeitete anschließend die so entstandenen Kopien noch vielfältig. Der lange Abend endete bei viel Kirschwasser in einem indischen Restaurant um die Ecke.

Klaus Staeck