Bildmotiv nach Filmstill aus der Bayreuther Lohengrin Inszenierung von Hans Neuenfels © Björn Verloh

PETER KONWITSCHNY

DAS GANZE
MUSS VERÄNDERT
WERDEN!
Peter Konwitschny, 2006



Ich mag das nicht, dass eine Frau sich opfert. Das kann es nicht sein. Das bringt uns auch nicht weiter, das erhält nur den Status Quo. Die brave Senta – alle können wieder beruhigt sein, die Welt geht weiter, sie war eben ein bisschen irre, man konnte sie nicht daran hindern, sich das Leben zu nehmen ... Und ich denke nun, wirklich wieder im Sinne der Werktreue: Was hat Wagner denn erreicht?
Er hat seine Zeitgenossen geschockt. 1843 war das etwas anderes, wenn eine Frau sich auf einer Bühne das Leben nahm. Das war verboten, das war ein Schock. Wenn sich heute eine Frau auf der Bühne das Leben nimmt, gehen wir zur Tagesordnung über. Durch die Katastrophen, die durch Wagner und uns in der Welt sind, ist das leider inflationiert.
Jetzt überlege ich nichts weiter, als ein anderes Wort zu finden, eine andere Sprache, um diesen Schock wieder zu erreichen. Um die Schwelle der Dumpfheit zu durchdringen, die wir alle aufgebaut haben, um den Alltag zu ertragen. Aber das Theater ist sinnlos, wenn wir da nicht durchstoßen und uns Menschen im Innersten treffen und die Frage aufreißen, ob wir nicht einiges an unseren Grundverhältnissen verändern müssen, an unseren Wertvorstellungen. […] Und deshalb habe ich mir erlaubt, einen Buchstaben zu ändern, und bei mir springt diese Frau nicht von der Klippe, sondern diese Frau wirft eine Kerze in ein Dynamitfass, so dass die ganze Bude in die Luft fliegt, also nicht nur sie und auch nicht nur der Holländer, sondern alles! Das ist ein Gedanke von Brecht aus dem Badener Lehrstück: Das Ganze muss verändert werden. Mit anderen Worten: Ich nehme die Senta mal ernst. Dass sie keine brave Frau ist, die ihre Rolle erfüllt, sondern eine, die uns erschreckt.
Peter Konwitschny im Gespräch mit Alexander Kluge über seine Inszenierung von Der Fliegende Holländer, dctp 2006


Foto: Der Fliegende Holländer, 2006 Bayerische Staatsoper (Inszenierung Peter Konwitschny, Austattung Johannes Leiacker), Anja Kampe (Senta) und Juha Uusitalo (Holländer)  © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper


PETER KONWITSCHNY
Regisseur, 1945 in Frankfurt am Main geboren, aufgewachsen in Leipzig, Studium der Regie an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, Regieassistent bei Ruth Berghaus am Berliner Ensemble, 1980–1985 freischaffender Regisseur u.a. in Anklam, Berlin, Greifswald, Halle/Saale und Rostock, 1986–1990 Regisseur am Landestheater Halle, seit 1990 Inszenierungen u. a. in Amsterdam, Barcelona, Basel, Berlin, Dresden, Graz, Hamburg, Leipzig, Paris, Stuttgart, Moskau, München, Tokio und Wien, 2008–2011 Chefregisseur der Oper Leipzig, seit 2012 freischaffend. Mitglied der Akademie der Künste seit 2000.
Wagner-Inszenierungen: Parsifal, 1995 Bayerische Staatsoper München; Tannhäuser, 1997 Semperoper Dresden; Lohengrin, 1998 Hamburgische Staatsoper, 2000 und 2006 Liceu Barcelona; Tristan und Isolde, 1998 Bayerische Staatsoper München; Götterdämmerung, 2000 Staatsoper Stuttgart; Die Meistersinger von Nürnberg; 2002 Hamburgische Staatsoper; Der Fliegende Holländer, 2004 Bolschoi-Theater Moskau, 2006 Bayerische Staatsoper, 2007 Oper Graz


 


In der Ausstellung
● Inszenierungs-Ausschnitte
Veranstaltung
Sonntag, 3.2.13, 17 Uhr
● MUSIK IN-SZENIEREN
Peter Konwitschny arbeitet mit Manuela Uhl und Tuomas Pusio eine Szene aus Wagners Der Fliegende Holländer.
Mit Satomi Nishi (Piano)