2003

Horst Münch

Das umfangreiche Werk von Horst Münch umfasst Malerei, Zeichnung, Skulptur, Fotografie und Film. Der Künstler befragt stetig und mit aller Offenheit Darstellungsmodalitäten, ohne dass sich eine einzelne künstlerische Aktivität als privilegierte Praxis durchsetzt. Texte und visuelle Fundstücke werden unmittelbar eingebunden. Seine Arbeiten empfehlen dem Betrachter, ästhetische Absichten abzulegen, indem er mit schlichten Mitteln mediale Grenzen überschreitet: „[W]ie kann ich ein Bild für mich akzeptabel machen [...] wenn [...] ich die Komposition ablehne, den Raum ablehne, die Perspektive ablehne [...] ich lehn die Malerei ab [...] und versuch eine Malerei zu machen, die trotzdem funktioniert. Da ist natürlich auch eine Lust dabei, und ich habe mir die letzten Endes auch immer wieder versagt“ (H. Münch, Kunstforum, 2014).

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Schroff ist die Kunst von Horst Münch, nie hat sie das Fett der Selbstgefälligkeit angesetzt. Ist es das, weshalb wir uns ihr ohne Scheu anvertrauen?“ (Auszug Begründung)

Dem Denken zur bildhaften Form verhelfen. –

In seiner frühen Studienzeit dreht Horst Münch einen Film mit dem Titel: „Am Kopf belauscht“. Mit dem Ohr an den Gehirnwindungen überträgt er fortan das Erlauschte ins Räumliche, in Farbe und Form. Mit sicherem Gespür für die Ansprüche des Handwerks wählt er sein Material und benutzt es als Transportmittel für Ideen und Emotionen. Hingegen respektiert er dessen unverwechselbare Qualität: eine silberne Bleistiftlinie wird nicht nachträglich vergoldet, ein Gipsklumpen nicht zu Marmor verklärt.

In seinen Texten und Gedichten lässt er den Wörtern ihren Klang und ihre Bedeutung, doch mutet er ihnen ungewohnte Konstellationen zu. So entlockt er ihnen das noch Ungehörte. Schroff ist die Kunst von Horst Münch, nie hat sie das Fett der Selbstgefälligkeit angesetzt. Ist es das, weshalb wir uns ihr ohne Scheu anvertrauen? 

Alfonso Hüppi

Der Jury gehörten an: Frank Badur, Alfonso Hüppi und Robert Kudielka.

Laudatio von Wolfgang Martin, veröffentlicht anlässlich der Preisverleihung am 30. März 2003 im zugehörigen Ausstellungskatalog:

Landschaften einer Gegenfreiheit

Die oft beschworene Freiheit der Kunst, diese Freiheit von den Freiheiten, zeigt sich, je entschlossener man sie erprobt, als ein Gegenüberstehen, das eine Vielzahl von Bindungsverhandlungen zwischen sich und den Künstler zu bringen fähig ist, welche nach kurzem die Gattungs-Landschaften einer Gegenfreiheit erscheinen lassen, mit der Erwartung einer am Nullpunkt der Fesselung angelangten, erneut von ihm ausgehenden, unerschöpflichen Arbeit.

Der Künstler blickt nicht nur in die Gitter der Gattungen seiner Arbeit oder aus ihnen heraus, er erblickt diese Vergitterung selbst, sie zwar als eine der Kunst und in weiterer Bedeutung als das, womit Menschen sich umbauen, worin sie eingebaut da sind, jedoch auch das Natürliche des so blickenden Daseins erscheint ihm nicht als unvergittert: wie gerastert auch dies, schraffiert oder abgegossen, kehrseitig gezeichnete, im Alltag nicht durchschaute Netzdichte.

Offenbar entspringt das multimediale Element im Werk Horst Münchs nicht aus jenem Gestus, der sein Können in diversen Gattungen darstellt. Näher ist ihnen ein Denken aus dem Interesse an der scharfrandigen Ortsbestimmung einer Artikulation, ausgesetzt im Zeitmilieu der Medienkultur, doch nicht davon befangen. Dass es sich abdrückt, durchgezeichnet wird, Projektionsflächen erhält, daher fassbarer wird, kann seine Aufklärung stärken als eine Nebenwirkung, an der Münch sich nicht schon beruhigt: Unberuhigt, da neben der Einsicht in die Systeme eine andere emergiert, durchflochten von den Zeichen der körperlich-leiblichen Existenz. Pirandello stieß 1914 auf etwas Vergleichbares, als er in den neuen medientechnischen Basis-Geräuschen den Hinweis auf das noch ungehörte, das leibeigene Basisrauschen vernahm.

Irritation einer kentaurischen Doppelfigur, in die (Kunst-)Medien ausgespannt, ihre Reflexion aber als dem Hautinnenraum zugehörige erleidend, das gespürte Zusammenwachsen des Leibes mit dem Denkmenschen, beleuchtet sie die Wege des Könnens mit Störfeuer. Ihr bleibt die Suche nach Wirklichkeit in dieser nicht auflösbaren, nicht vermittelbaren Windung zwischen Ungangbarkeiten, die zeitliche zwischen Zeichen und Leib, Geschichten und Geschicht. Münch verweist auf die Analogie mit einem Erzählen, das sich allerdings auf Umschwünge einstellt, die den Artikulationsvorgang selbst als ein Geschehen zu Gehör bringen.

Münchs kraft ihrer Direktheit überraschende Wahrnehmung für die Ränder der Gattungen, für das, was man an ihnen gewöhnlich ausgrenzt, zeichnet sich als Gewärtigung der störenden Rückseiten, der Negativ-Reliefs oder der Perspektiv-, Hang-, Gang-, Rollwagen-, Zeit-, Bild-, Schnitt-, Bruch- und Abbruch-Bedingungen den Arbeiten ein, auf die hin er die Medien-Räume abhorcht. Ansichtig der Begrenzungen dessen, was sich als selbstredend Bildgebendes anbietet, entstehen Situationserweiterungen in Material und Medium, die das vermeintlich Kunstlose der Alltagswelt streift: Doppelung von Sprache, deren inwärtige Scheidung nicht schmerzlos bleibt.

Verschiebe-Tätigkeit, die nicht hinträgt aus einer banalen Welt in einen Himmel ästhetischer Werte, vielmehr die Bildillusionen durchkreuzt mit verletzbarer Stimme, fragend, bauend, der Lebenszeit ausgesetzt, einer lachenden Unerziehbarkeit sich verdankend. Bezeichnend dafür ist Münchs Engagement (seismografisch, nicht archäologisch) an der Bergung der denkenden Figur Marie-Luise Langenthal-Seifold, ihrerseits Finderin oder Findelkind jeder Quelle, an welcher der Denkleib zeichenbindend Bedeutungsaspiranten fad werden sieht.

Auch Theorien sind Erfindungen, Standortsignale Denkender, die ihrer eigenen Situation ein kommunizierendes Bild schufen, an welchem sie diese Situation (oft nur während der Stunden des Denkens) wiederzuerkennen meinten. Der seiner Arbeit sich zuwendende Störgeist Horst Münchs liebt die Durchkreuzung des theoretischen Einverständnisses auch da, wo er, wie im Gespräch mit Langenthal-Seifold, eine Grundlage bildet, die ihre Stützungen aufgrund eines Träger-Gestells unverborgen lässt, das seine Füße auf dem unzweifelhaft betretbarer scheinenden, einigermaßen planen Atelierboden lässt. Die Raumkrümmung, die dieses Werk realisiert, erscheint nicht als ausmessbar, sondern als ein Eröffnungs-Beitrag zum Gespräch, Gespräch zwischen Individuen, Wörtlichmachung einer Funktion von Kunst. Gespräch, so notierte Paul Celan, sei keine Unterhaltung, es dürfe anstrengen.

Die Werke Münchs gehen schrittweise vor und bleiben nicht bei den zufriedenstellenden Lösungen. Sie bewegen sich mit dem Eigensinn eines im Werkvorgang Denkenden, der sich nicht an einer vorgefassten Linie bewegt, sondern seitwärts oder richtungswechselnd kommt, submergiert, emergiert. Diese Gangart sperrig zu nennen, verfehlte ihre spröde Anmut, ihren unberuhigten Lachton. Münch sucht seine zufriedenstellenden Bildzustände auch, findet sie aber nur, wo sich ihre nicht durch Mache erwirkte Aufnahmefähigkeit für diesen Charaktergang einstellt, von ihr einen großen Rest Nicht-Aufnahme verlangend.

Auch die Wahlverwandtschaft mit Langenthal-Seifold distanziert sich aufgrund einer Unschärfe-Relation, wirksamer als die bekannten Widerstreite, offen dem durch Absichten nicht zu erlangenden Zufall, das Erdachte leise verwackelnd, nicht lieblos, zeichnende Spur wie von einem Kind, das Kreise aufs Papier schlagen will während eines der nicht lauten rheinischen Erdbeben: Seismografie der Umgebungsbewegungen, deren Stille doch Kontakt mit der Weltlage hat. Diese Stille zeichnet auch sie als jene vom Arbeitsraum her wachrufenden Störungen, den Anblick der Bilder verfremdend.

Der Grat der Arbeiten Münchs stößt an das in den Kunstgattungen Naheliegende, das (beim Wort genommen, doch nicht bestätigt) oft so erst klar wird. So zeigen die Fototafeln ganze Filme auch mit ihren vorher unbearbeiteten Negativen. Sie stellen die der Fotogattung charakteristische Auswahl in Frage. Dem Betrachter bleibt überlassen: geht es um Selbsterkenntnis des Künstlers in der suchenden Bild-vor-Bild-Spur? Nicht selten finden sich die ersten Bildfindungs-Entscheidungen im Unbeachteten der Kontaktbögen oder noch vor diesen. Geht es näher um eine Suche nach der Existenzspur in dem, was dieses Medium en passant erzeugte? Wirkt dieses Naheliegende auf unsere Vorstellungen von Fotografie-Geschichte zurück, widerlegt das mit ihr verbundene Selektionsverhalten? Das neue, digitale Medium, in das Münch die Analogbilder überträgt, erscheint als ein Übersetzungsmedium, das von der Suche-Spur durchwandert wird.

An der Skulptur Die Weiße Große Leere Volle oszilliert das Bild mit seinem Arbeitshintergrund, dessen Mittel Einblick geben in die von Menschenhand gezeichnete, ungeschönte Bedingungswelt jeder Konstruktion von Bildern. Dieser minimale Mittelgebrauch ermöglicht Reflexion zwischen unterschiedlichen Sprachen, lichtet das Tabu zu den zur Kunst-Illusion gehörenden, den meisten Menschen verschlossenen Techniken. Präzisierungen werden mit Gips, Drahtgeflecht, Leisten erreicht, bis die Arbeits-Rückseite mitzusprechen beginnt, konzentriert auf das, was den Grat zwischen ihr und dem Bild sinnfällig macht, Angelpunkt zwischen zwei unterscheidbaren Haltungen, die sich ebenbürtig zu erkennen geben. Die Leisten des Untergestells von Gesprächsgrundlage, das die verwundene Fläche aus Gips gegen die Schwerkraft stabilisiert, sind mit einer Aluminiumfarbe gestrichen. Die Holzkonstruktion, durch die technischere Farbe maskiert, erweist gerade so, dass Gesprächsgrundlage tragfähig bleibt, so lang ihr Bau aus (gutem) Holz ist. Sprache, unerschrocken konstruktiv, die nicht umhin kann, die Splitter, Fasern und, möchte man sagen, ihre Borsten zu zeigen wie auch ihre Zerbrechlichkeit: Gestell mit spröde-zarter Fläche, von Elefanten nicht betretbar, außer in geflügeltem Schuhwerk, denkende Bild-Äußerung zum Thema Kommunikation. Die Skulptur signalisiert ein von ihr ausgehendes Vakuum, macht mit scherzhaftem Ernst an einer übersprungenen Grund-Voraussetzung von Menschensprache Halt.

Horst Münch findet Breschen, durch die der wandernde Blick einer Rahmenansicht, mit ihr seiner Selbstverschiebung ausgesetzt wird: Modell für die Kunstillusion, die sich selbst durch die Thematisierung ihres Arbeitshintergrunds als Menschenwerk (de-)maskiert? Für Erscheinungsweisen überhaupt? Die Verschiebung zwischen den beiden Sphären des Bildes und seines Hergestellt-Seins, die Aufmerksamkeit für die Mitsprache der Werkzeuge, Materialien, Handwerks- und Kunstgriffe erzeugen keinen Ausgleich, keinen der begehrten Sinnhorizonte, sie führen zu einer unvermerkt schroffen Bresche, ähnlich der des Griffs hinter den Spiegel, hinter dem nicht nichts ist, sondern nichts als die bekannte, das gespiegelte Gegenüber nicht darstellende (doch in leibhafter Präsenz enthaltende) Welt.

Von dieser Inversion setzen die Bildarbeiten Münchs etwas Feinnerviges frei, etwas zwar Her- und Herausstellendes, doch über das Hingestellte hinaus, an ihm Vorbeihorchendes, das seine Nichtmethoden in sie einfallen lässt, aus denen sie entstehen, um einem sich mitverändernden Blick zu begegnen, wie der Leib im Clinch der Zeit durch allgemeines Gebaren schwindet, während Gesten, die ihm sein Sinn eingibt, aus dem zu kommen scheinen, das (unvorhersehbar) der Zeit entrinnt. Entrinnen auch in der Bedeutung einer Quelle, deren Wasser einen unverkennbaren Geschmack hat vom Spurelement einer aus ihr quellenden – in ihrem Grund nicht aufklärbaren – Fähigkeit zu freiem Schritt, durch den getrennte Landschaften als benachbarte, aber nicht schon als befriedete erscheinen.