Das Festival
Technische Revolutionen haben das Leben nicht nur vereinfacht, sondern von Grund auf verändert. So wie die Erfindung der Telegraphie Ende des 18. Jahrhunderts die Machtverhältnisse von der Repräsentationsmonarchie hin zur Bürokratie verschoben hat, hat auch die Digitalisierung die Machtstrukturen und Wahrnehmungsdispositive der Welt nachhaltig geprägt. Die Musik hatte, als leicht zu digitalisierende Kunstform, an diesen Veränderungen besonderen Anteil. Das gilt für die musikalische Produktion und kompositorische Strategien, für Darbietungsformen und das Hörverhalten, für die Arbeitsbedingungen des Künstlers und für die Vertriebswege des Markts.Für Komponisten der mittleren und jüngeren Generation ist es inzwischen selbstverständlich, den Computer als Teil des vorhandenen Instrumentariums zu nutzen. Doch welches Für und Wider ergibt sich daraus für die kreative Arbeit? Wie reagieren Künstler auf den unermesslichen Freiraum einerseits und die Beeinflussung ihrer Fantasie durch das vorprogrammierte Fabrikat andererseits?
Diese Fragen markierten den Hintergrund von "Zero ’n’ One. Komponieren im digitalen Zeitalter", ein Veranstaltungskomplex, den die Akademie der Künste gemeinsam mit dem ZKM l Institut für Musik und Akustik und dem Elektroakustischen Studio der Akademie vom 15. – 18. September 2010 ausrichtete.
Das Festival "Zero 'n' One" befasste sich mit den Chancen und Errungenschaften der Digitalisierung vor allem im Bereich der Kunstmusik. Zu seinem Programmbeirat gehörten die Mitglieder der Sektion Musik Ludger Brümmer, Georg Katzer und Enno Poppe. Das Konzept erarbeiteten Björn Gottstein, Evelyn Hansen und Gerd Rische. Ein internationaler Expertenkreis, der sowohl die Pioniere der Gründerzeit als auch Vertreter der mittleren und jungen Generation einschloss, stellte seine Erfahrungen zur Diskussion. So führte der Initiator und Vordenker im Forschungsfeld Musik und Technologie, Johannes Goebel, in die Geschichte der Thematik ein. Eine Reihe von Composer Lectures ermöglichte es den beteiligten Komponisten, den Entstehungshintergrund ihrer Arbeit zu beleuchten. Auch Wissenschaftler aus dem Bereich der Medientheorie wie Martin Rumori oder Martin Warnke kamen zu Wort. In zwei Podiumsgesprächen wurden die Themen Klangvorstellung und sozialer Habitus der Komponisten angeregt verhandelt, wie auch die sonstigen Möglichkeiten zum Fragen und Diskutieren vom Publikum ausgiebig genutzt wurden. Die abendlichen Konzerte und Performances machten in ausgewählten Beispielen mit der künstlerisch-praktischen Seite des Themas bekannt. Sie boten ein breites Spektrum an musikalischen Ausdrucksformen, von Elektronisch-Improvisatorischem bis zu multimedialen Kompositionen.
Björn Gottstein, Evelyn Hansen / Oktober 2010