Vorwort zum Katalog

Unter dem Titel ARTE POSTALE präsentiert die Akademie der Künste aus dem Fundus ihrer Archive und der Kunstsammlung bisher nie oder selten gezeigte Bilderbriefe, Künstlerpostkarten und Mail Art. Darüber hinaus zeigt sie ausgewählte Künstlerpost und Postkartenentwürfe von zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen aus der Sammlung Staeck.
Neben Künstlerpost von bekannten Zeichnern und Malern wie George Grosz, Max Pechstein, HAP Grieshaber, Bernhard Heisig und Bernard Schultze ist auch Postalisches von Künstlerinnen und Künstlern aus anderen Sparten zu sehen. Wir zeigen die berühmten Briefe der Architektengemeinschaft Gläserne Kette um Bruno Taut, Bauhausbriefe von Lyonel Feininger, amüsante Bild Wort-Kommentare und Architekturentwürfe von Hans Scharoun, Bühnenbildentwürfe von Teo Otto, aquarellierte Brief-Billetts von Sarah Kirsch, Einar Schleefs Bilderbriefe an seine Mutter Gertrud, aber auch kalligraphisch oder zeichnerisch gestaltete Grüße und Kurzkommentare von Robert Wilson und Horst Bartnig, von Luigi Nono, György Ligeti und Achim Freyer. Breit ist das stilistische Spektrum der gemalten, gezeichneten oder collagierten Botschaften und der Schriftbilder; vielfältig sind die Intentionen und Inhalte. Ein gemeinsamer Nenner ist gewiss, dass es den Brief- und Kartenschreibern ein Bedürfnis war, eine persönlich an die Adressaten gerichtete Mitteilung nicht nur in Worte zu fassen, sondern visuell anschaulich zu machen. Wir haben aus den Korrespondenzen des Archivs Arte-Postalisches ausgewählt, von dem wir meinen, dass es ein breites Publikum inhaltlich interessieren und ästhetisch begeistern könnte.
Einen zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bildet der reiche Fundus an Mail Art aus der Kunstsammlung der Akademie. Aus der Tausende von Postkarten, gestalteten Umschlägen, Künstler-Briefmarken und -Stempeln, Plakaten und Aktionsdokumenten umfassenden Mail Art-Sammlung Guillermo Deislers wird hier zum ersten Mal eine Auswahl politisch wie ästhetisch herausragender Stücke präsentiert. Sowohl in der DDR und anderen Ländern Osteuropas als auch in südamerikanischen Ländern, in denen diktatorische Regime die Freiheit der Menschen in vielen Bereichen essentiell beschnitten, war Mail Art in den 1970er und 1980er Jahren von besonderer Bedeutung. Herausragende Protagonisten der Mail Art-Szene in der DDR wie Robert Rehfeldt und Joseph W. Huber sind in der Ausstellung mit zahlreichen Arbeiten vertreten wie auch die politisch verfolgten Mail Artisten Clemente Padín aus Uruguay oder Edgardo-Antonio Vigo aus Argentinien. Mit subversiver Energie und pointierter Metaphorik auf Wort- und Bildebene verstanden es die Mail Artisten, staatliche Kontrollinstanzen zu unterlaufen, den Horizont ästhetisch und gedanklich zu erweitern und über Grenzen hinweg politische und soziale Solidargemeinschaften zu bilden.
Manch persönlicher Künstlerbrief – etwa von Max Schwimmer oder Gustav Seitz – mag das „heimliche Auge“ des Ausstellungsbesuchers erfreuen. Die Mail Art jedoch war seit den 1960er Jahren weniger privater Natur, vielmehr per se an ein internationales, offenes Netzwerk von Teilnehmenden gerichtet. Die heimlichen Augen, die so manche Mail Art-Sendung ins Visier nahmen, bevor sie ihre Adressaten erreichte ARTE POSTALE (oder dann nicht mehr erreichte), waren die geheimdienstlicher Funktionäre, die über diese „operativen Vorgänge“ ausführlich Bericht erstatteten. Die Auszüge, die wir aus einst geheimen Akten zu Mail Art- Aktivitäten in der DDR zeigen, machen deutlich, dass die Stasi die größte Gefahr für den Staatssozialismus in einer nicht doktrinären, sozialistisch gesinnten Alternativszene sah, die sich für Meinungsfreiheit, Abrüstung und Umweltschutz stark machte.
Im Westen Europas und in Nordamerika war Mail Art vor allem Teil der sich seit den 1960er Jahren formierenden Fluxus-Bewegung. Die großen Unbekannten der Kunst- und Mail Art-Geschichte, fluxistische, neodadaistische Einzelgänger wie NovRomeo und der multimediale Künstler und Wissenschaftler Reinhard Döhl sind in der Ausstellung ebenfalls mit einigen originellen Arbeiten vertreten. Für alle Mail Artisten sind der seit Duchamp und Beuys offene Kunstbegriff und die Idee der sozialen Plastik wesentlich. Die Mail Art- Produzenten scherten sich zumeist nicht darum, ob ihre per Post versandten illustrierten Briefe, Bilderschriften und Schriftbilder, Zeichenbotschaften und visuellen Dichtungen, ihre Stempel-Icons und Grafiken, Montagen und Collagen als künstlerisch wertvoll angesehen würden und jemals Eingang in den Olymp der Hochkunst fänden.
Mail Art ist keine museale Kunst per Post, sondern eine ästhetische Kommunikationsform. Es ist ein Akt der Wertschätzung, nicht der musealen Vereinnahmung, wenn wir die Mail Art-Objekte so präsentieren, dass sie auch als künstlerische Arbeiten gewürdigt werden können. Zugleich wollen wir die grenzüberschreitende kommunikative Potenz und Fülle durch das von Lutz Wohlrab und Klaus Staeck für die Ausstellung initiierte Mail Art-Projekt zum Thema „Akademie“ sinnlich erfahrbar machen. Diese aktuelle Aktion macht deutlich, wie sehr auch im Zeitalter des Internets das analoge Netzwerken und künstlerische Agieren im „kleinen Format“ ein Bedürfnis ist und Vergnügen bereitet.
Wie wichtig für Fluxus-, Konzept- und viele andere Künstler die Postkarte als künstlerisches Medium war und ist und welch generelle Bedeutung der Austausch von Bildern und Worten per Post für die Freundschaft zwischen Künstlern hat, führt ein weiterer Ausstellungsteil vor Augen. Er ist der Edition Staeck sowie der Künstlerpost gewidmet, die Rolf und Klaus Staeck von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern erhielten.
Die Korrespondenzpartner – darunter Joseph Beuys, Diter Rot, Hanne Darboven, James Lee Byars, Jean- Jacques Lebel – schickten auch ihre Entwürfe für Künstlerpostkarten der Edition Staeck zumeist per Post.
Ein besonderes Seh- und Leseerlebnis sind diese collagierten Entwürfe in verschiedenen Stadien und Varianten sowie die Kommentare von Joseph Beuys, A. R. Penck, Horst Antes, Hans Haacke, Keith Haring, Erwin Heerich, Dick Higgins, Sigmar Polke, Wolf Vostell, Stefan Wewerka, Martin Schwarz und vielen anderen – und nicht zuletzt das Endresultat, die in unlimitierter Auflage gedruckte Postkarte.
An der Vorbereitung der Ausstellung mit über 700 Exponaten, zu denen die Postkarten der Mail Art-Aktion „Academy/Akademie“ hinzukommen, waren zahlreiche Mail Artisten, Archivare der Akademie sowie Studierende eines Forschungsseminars zum Thema „Correspondence Art“ aktiv beteiligt. Ohne ihre Recherchen, Vorschläge und Beiträge wäre diese Ausstellung nicht möglich gewesen.

Der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste sei für ihre großzügige finanzielle Unterstützung, der Deutschen Post AG für ihr Sponsoring herzlich gedankt.

Rosa von der Schulenburg, Klaus Staeck, Wolfgang Trautwein

(Erscheint in: ARTE POSTALE. Bilderbriefe, Künstlerpostkarten, Mail Art aus der Akademie der Künste und der Sammlung Staeck, herausgegeben von Rosa von der Schulenburg im Auftrag der AdK, Berlin 2013.)


Klabund, Davos, an Irene Brunhilde und Max Heberle, Passau, Dezember 1923
Postkarte mit Zeichnung
Bleistift auf Papier, 14,0 x 9,0 cm
Klabund-Sammlung, Akademie der Künste, Berlin
Max Schwimmer an Hans-Georg Richter, 1925
Der neue Professor
Karte mit Zeichnung
Aquarell, Graphit, 14,3 x 9,3 cm
Kunstsammlung, Akademie der Künste, Berlin
© VG Bild-Kunst, Bonn 2013
Einar Schleef, Berlin (Ost), an Gertrud Schleef, Sangerhausen, 26.5.1978
Brief mit farbigen Zeichnungen
Filzstift, 29,7 x 21,0 cm
Einar-Schleef-Archiv, Akademie der Künste, Berlin
© VG Bild-Kunst, Bonn 2013