26.3.2013, 11 Uhr

KULTUR:STADT – DER KATALOG

Katalog-Cover
Grafik: Heimann & Schwantes
Von Wilfried Wang für die Akademie der Künste bei Lars Müller Publishers in Zürich herausgegeben, ist der Katalog – oder besser – ist das Buch Kultur:Stadt aus dem Blickwinkel von Künstlern, Architekten und Wissenschaftlern eine umfangreiche Analyse des Phänomens. Hat die Kultur heute noch eine Leitbildfunktion, oder ist sie lediglich Auslöser für spektakuläre Bauten? Sind Kreativ- und Kulturwirtschaften die Zukunftsbranchen postindustrialisierter Gesellschaften? Befreien oder knebeln Bauten jene kulturellen Aktivitäten, die die Bauten überhaupt erst zum Leben erweckten? Wie funktioniert der „Bilbao-Effekt“, die Aufwertung von Städten durch prestigeträchtige Kulturbauten? Siebenunddreißig Pioniere, Vorbilder und Negativbeispiele sind paradigmatisch in diesem Buch versammelt.







Den umfangreichen wie tiefen Einblick in das Phänomen Kultur:Stadt ermöglichen auf 232 Seiten neben den 37 Projektdarstellungen und mehr als 400 Abbildungen die folgenden Beiträge:
Wilfried Wang Realkultur: von unten nach oben
Matthias Sauerbruch Kultur:Stadt – Inhalt und Form
Kasper König Drei verschiedene Beispiele von Kunst und Öffentlichkeit – Münster, Frankfurt am Main, Köln
Nele Hertling Kultur als Leitbild
Ingo Schulze Von alten und neuen Selbstverständlichkeiten
Andy Pratt Die Kultur- und Kreativwirtschaft: Neuer Motor für die Stadt?
Alain Thierstein Die Kreativwirtschaft und die Wissensökonomie
Ricky Burdett Anpassungsfähigkeit und Kultur in der Stadt von heute
Richard Sennett Die offene Stadt
Michael Mönninger Architektur, Kultur, Stadtpolitik: Über das Verhältnis von
Brandstiftung und Branding, Terrorismus und Tourismus
William J.R. Curtis Anmerkungen zum «Bilbao-Effekt»
Beatriz Plaza Der «Bilbao-Effekt»
Christian Schneegass Junge Akademie – interdisziplinäre wie internationale Stipendienprogramme
Jochen Gerz Konzept 2–3 Straßen
Jan Schütte Einige Gedanken zu Architektur und Film
Manos Tsangaris Musik:Stadt


Kontext AUFMERKSAMKEITSDÄMMERUNG

In Anbetracht der Größenordnung von kulturpolitischen Fehlern, die mit Großprojekten verbunden sind, muss eine Rückbesinnung erfolgen. Welche Rolle spielt die Kultur heute noch? Wie können einzelne Künste unser Denken und Handeln aktuell mitstrukturieren? Ist die Kultur heute noch in der Lage, der Gesellschaft Leitbilder zu liefern? Oder ist die Kultur von ihrer baulichen Unterbringung abgekoppelt worden? Dient die Kultur lediglich als Vorwand für nach Aufmerksamkeit heischende Bauten? In der Medienvielfalt, einschließlich des Internets, im verwirrenden Kaleidoskop der Künste haben es Ideen und Konzepte, Positionen und Inhalte immer schwerer, sich überhaupt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Architektur und Städtebau sind dagegen bei der Herstellung von Aufmerksamkeit willige Gehilfen. (Wilfried Wang)


Kontext STADT UND DER VERLUST DER ÖFFENTLICHKEIT
So wie das Buch die Kathedrale zerstört hat, so zerstört das Internet die Stadt. Die jahrhundertealte Wechselbeziehung zwischen Kollektiv, Raum und Kultur ist unterbrochen. Mit dem Verlust dieses greifbaren öffentlichen Raums geht eine Partikularisierung des öffentlichen Lebens einher, wie Richard Sennett ausführt, eine zunehmende Konzentration auf das Individuum. Anstatt der Ideen und Ideale der Gemeinschaft rücken Einzelbefindlich- keiten in das Zentrum aller Aufmerksamkeit. Sennett spricht von der «Tyrannei der Intimität». Diese Entwicklung hat auch nachhaltige Konsequenzen für die Stadt (wie wir sie kannten). Ihrer traditionellen Inhalte beraubt, wirken die kollektiven Räume wie leere Hülsen, die kaum noch eine Entsprechung finden in der Ansammlung von Partikularinteressen, die die Stadt in zunehmendem Maße bestimmen. Neue (Kultur-)Bauten werden nicht mehr in erster Linie als Ausdruck eines gemeinsamen Willens verstanden, sondern als ein Ereignis unter vielen, das zur Deckung eines potenziellen, notfalls noch zu generierenden Bedarfs konzipiert wurde. (Matthias Sauerbruch)


Kontext KULTUR ALS LEITBILD
Gegen den Trend von Einschränkung und Kürzung künstlerischer Arbeit sowie kultureller Aktivitäten, gegen die mit der ökonomischen Krise einhergehende Gefahr wachsender antidemokratischer Haltungen und, wie unter anderem in Ungarn zu erleben, massiven Eingriffen der Politik in das kulturelle Leben – paradoxerweise wird mit der so demonstrierten Furcht des Staates vor der Wirkung von Kultur und Kunst deren «Wert» und Einflussmöglichkeit besonders betont – könnten die Europäischen Kulturhauptstädte zu einem Zeichen dafür werden, wie der «Wert» der Kultur eine andere, zukunftsweisende Entwicklung schaffen könnte. (Nele Hertling)


Kontext ALTE UND NEUE SELBSTVERSTÄNDLICHKEITEN
Wenn wir die Bezeichnung Kreativwirtschaft für die Künste akzeptieren, haben wir schon verloren. Dann ergeben wir uns dieser Ökonomisierung, dem Effektivitätsgedanken, sind Protegés und Opfer des McKinsey-Konzepts. Dann haben wir schon verloren, so wie jener Pfarrer, der sich als Mitbewerber auf dem Markt für Sinnangebote definiert, oder das Kranken- haus, das nicht mehr von Patienten, sondern von Kunden spricht. (Ingo Schulze)


Kontext KULTUR- UND KREATIVWIRTSCHAFT: NEUER MOTOR FÜR DIE STADT?
Erstens: Ist Kultur tatsächlich nur die Muse, die uns inspiriert und bereichert, oder ist sie vielmehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Praxis, Impulsgeber für die Stadt und ihre Bürger, ein ebenso realer Faktor wie die Industrie und Finanzwirtschaft? Zweitens: Geht es bei Kultur um Konsum und Erlebnis oder um Produktion und kreatives Schaffen? Viele wissenschaftliche und politische Untersuchungen thematisieren den Konsum von Kultur, nicht ihre Produktion. Drittens: Ist Kultur «Verpackung» oder Prozess? (...) Breit angelegte Studien belegen, dass der Kreativsektor in Europa erhebliche Umsätze erzielt – tatsächlich sogar höhere Umsätze als die Automobilindustrie. Bedenkt man, welche Ressourcen und Aufmerksam- keit die Politik der Automobilindustrie zubilligt, stellt sich die Frage, inwieweit sie bereit ist, Verantwortung für die Kulturwirtschaft zu zeigen. Diese wird hingegen weitgehend ignoriert. (Andy Pratt)



Der Katalog, im Design von Heimann & Schwantes, in deutscher (ISBN 978-3-88331-196-8) und englischer (ISBN 978-3-88331-197-5 ) Ausgabe erschienen, kostet in der Ausstellung 29,99 € und im Buchhandel 40 €.

Weitere Informationen beim Verlag unter: lars-mueller-publishers.com