Eine Ausstellung, ein Ort und ein Zeitraum

15. März 2019

Von Karin Sander

„Die Kunst ist der Statthalter der Utopie“, hat Max Frisch einmal im Gespräch formuliert. Dieser Satz gilt umso mehr in utopiefernen Zeiten wie unserer, in denen die Moderne ihren Zukunftshorizont zu verlieren scheint. Ablesbar jedenfalls wäre das an Zeitphänomenen wie dem Schlösser- und Altstadtnachbau, wie er in Berlin, Potsdam, Hannover, Frankfurt stattfindet, an der extrem kurzfristig orientierten Wirtschaft und Politik und an dem um die reine Gegenwart zentrierten Konsumismus.

Wo der modernen Gesellschaft die Zukunft abhanden gekommen ist, sie darauf verzichtet, sich vorauszuentwerfen und die Gegenwart zu transzendieren, kommt der Kunst das umso mehr zu. In der Frage „Wo kommen wir hin“ oder in ihrer Rolle als „Statthalterin der Zukunft“ soll sie im Rahmen einer Ausstellung, eines gemeinsamen Arbeitszeitraums, einer Veranstaltungsreihe untersucht werden, in der nicht nur genuin künstlerische Strategien, sondern auch Wünsche, Träume und Hoffnungen als Produktivkräfte des Zukünftigen zusammengebracht werden.

Es geht dabei nicht darum, triviale Zukunftsbilder zu entwerfen, sondern darum, Anknüpfungspunkte in den Wünschen und Träumen unterschiedlicher Akteure aufzusuchen, um zu ventilieren, was die Wunschinhalte der Gegenwart sind, worauf sie sich richten und wie sie sich formulieren – und wie diese mit der Kunst als Utopie in produktive Verbindung zu bringen sind. Das Medium dafür ist eine Ausstellung, die genuin künstlerische Potenziale von Zukünftigkeit mit den Sektionen der Akademie, mit Design und Werbung, genauso zusammenbringt wie mit den alltäglichen Träumen. Und genau da wollen wir hin.

Das zugrundeliegende Material zu diesen Aspekten bezieht sich zum Beispiel auf ein Forschungsprojekt von Harald Welzer und Futurzwei, in dem eine Reihe von Gesprächen mit unterschiedlichen Gruppen junger Menschen – vom Schützenverein bis zu Queer-Akti­vistinnen – zu der Frage durchgeführt werden, wovon sie träumen und wie sie sich die Zukunft vorstellen und wünschen. Die Ergebnisse dieser Gespräche bilden den Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, welchen Stellenwert das Utopische hat, wie es zum Ausdruck gebracht werden kann und welche künstlerische Formulierung ihm Gestalt geben könnte.

Damit knüpft das Ausstellungsprojekt einerseits an eine lange Tradition künstlerischer Strategien an und bringt diese andererseits in Verbindung mit dem aktuellen gesellschaftlichen Phänomen des Verschwindens der Utopie, ja, der Zukunft. Die Fragestellung richtet sich auf die Potenziale des Utopischen in der Kunst und im Alltag und damit auf die mögliche Wiederentdeckung eines vergessenen Zusammenhangs.

Besonders interessant wird diese Frage darüber hinaus, wenn man sie auf die Entstehungsgeschichte und Funktion der Akademie der Künste als Ort des Zusammentreffens bezieht, der installiert wurde, um Kunstschaffenden die Gelegenheit zu geben, „sich miteinander über ihre Kunst freundschaftlich zu besprechen, sich ihre Versuche, Einsichten und Erfahrungen mitteilen, und einer von dem andern zu lernen, sich mit einander der Vollkommenheit zu nähern suchen“ (Daniel Chodowiecki, 1783).

Heute, in Zeiten von Filterblasen und verengten Zukunftshorizonten, ist die Schaffung analoger Gelegenheiten des Austauschs von „Versuchen, Einsichten und Erfahrungen“ aus unterschiedlicher Perspektive vielleicht nötiger denn je. Insofern bietet der Ansatz der Veranstaltungen / Ausstellungen „Telling Art and Futures – Die Dialektik des Utopischen“ im gemeinsamen Übertitel „Wo kommen wir hin“ auch einen Anlass zur Aktualisierung des Selbstverständnisses und der Praxis der Akademie, wobei es immer wieder herauszuarbeiten gilt, wo sie als Institution für Zukünftigkeit mehr gesellschaftliche Bedeutsamkeit beanspruchen kann. In diesem Sinn ist der Titel „Telling Art and Futures – Die Dialektik des Utopischen“ doppelt verstanden – nämlich bezogen auf die Potenziale der Wiedergewinnung des Utopischen in der Kunst und auf die Akademie als prädestinierten Ort dafür.

Karin Sander, Bildende Künstlerin, ist Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Bildende Kunst. Zusammen mit Kathrin Röggla und Manos Tsangaris hat sie das Forschungslabor „Wo kommen wir hin“ initiiert.

Karin Sanders Ausstellung „Telling Art and Futures – Die Dialektik des Utopischen“ wird am 28. April 2019 in der Akademie am Hanseatenweg eröffnet. Sie läuft bis 12. Mai 2019. Ein Projekt in Kooperation mit Harald Welzer, Marius Babias, Ayse Erkmen u. a.