Einar Schleef Kontaktbögen 5. Februar bis 2. April 2006 |
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Reden zur Eröffnung der Ausstellung am 5. Februar 2006 Begrüßung: Matthias Flügge, amtierender Präsident der Akademie der Künste
Sehr geehrte Damen und Herren, „Biografie in Bildern – Kontaktbögen“ - eine gegenseitige Bedingtheit, die Einar Schleef bei seinen Titelüberlegungen für die Ausstellung ins Auge fasste. Beide Begriffe verweisen in diesem Fall (Einar Schleef verfügte auch über ein großes Oeuvre gemalter Tagebuchbilder) auf das Medium Fotografie, allerdings mit verschiedenen inhaltlichen Zuordnungen. Das Bild oder die Bilder sind aus dem Kontaktbögen heraus gelöste Fotos: nackt und bloß und ohne den schützenden Kontext des Kontaktbogens, der ihnen eine Art Heimat und eine gedankliche Zuflucht bietet. Der Kontaktbogen selbst hingegen, hat etwas von einem Stadtplan, er markiert Anfang und Ende, gibt Orientierung und erzählt dem Betrachter etwas über Aufmerksamkeit, Interesse und fotografischen Sachverstand, in unserem Fall von Einar Schleef. Könnte es sein, dass in einer Zeit der schier unendlich werdenden Bilderflut, in der alles von jedem zum Foto/Bild verarbeitet wird, Produkt und Hersteller wieder nach gemeinsamer Augenhöhe suchen? Könnte es sein, dass Einar Schleef, ewig auf der Suche nach den Gründen zu sich selbst, Kontaktbögen und Tagebuch gegenübergestellt sehen wollte, weil es ihn interessierte, welchen neuen Sinn dieses Ergebnis stiften würde? Könnten die Kontaktbögen als Kontext zum einzelnen Foto helfen, dieses besser zu verstehen und zu entschlüsseln – weit über das hinaus, was Fotografiehistoriker im Allgemeinen mit ästhetischen Kriterien zu entschlüsseln oder zu kategorisieren suchen? Ich meine deutlich: ja. Es war kein Zufall, dass Einar Schleef die Idee und ein erstes Konzept für die Ausstellung entwarf, als er sein Tagebuch in den Computer übertrug. Neu schreibend, zugleich das vor Jahren Geschriebene übertragend und kommentierend, suchte er Gewissheit im anderen Medium und fand dort seine Biografie anders erzählt. Anders als im Tagebuch, in dem sich Verzweiflung, Trauer, Entsetzen, Nähe oder auch nur Banalität unterschiedlich wortreich spiegeln, schreibt Schleef im Kontaktbogen mit einer anderen Sprache, besser: nutzt er andere Schriftzeichen. Die vielen hundert Seiten Tagebuch wie auch die vielen hundert Seiten Kontaktbögen öffnen nicht einen sondern den Raum des Denkens und der Philosophie von Einar Schleef. Wenn zum Beispiel im Tagebuch das Überwinden von Grenzen in mannigfacher, oft quälender und selbstzerstörerischer Art in Worten nachzulesen ist, sind Gitter, Mauern, Zäune mit gusseisernen Spitzen und Absperrungen aller Art, gesehen und notiert/fotografiert von Dänemark bis Washington und von Sangerhausen bis Frankfurt/Main fotografische Zeichen für das, was anderswo in Worten steht. Es hätte ihn gewiß beklommen gemacht wie dann auch ein triumphierendes „So ist es eben“ abgerungen, hier, nur wenige Meter von der Akademie der Künste entfernt, den Drahtverhau ringsum die amerikanische Botschaft zu erblicken, auf dessen Symbolträchtigkeit er überall in der Welt traf und die in jedem zweiten Kontaktbogen wie ein sich durchziehender Ausschlag finden läßt. Wolken, unendlich viele Wolken in allen Farben und in aller Gestalt. Was ficht einen wie Einar Schleef an, der auf dem Theater ob seiner festen und nicht immer feinlinigen Strukturen oft nicht gern willkommen geheißen wurde, zum Beispiel von Peter Zadek, Wolken stoßweise als Kontaktbogen im Archiv zu horten? War es vielleicht eine bewusste/unbewußte Sehnsucht nach einer Form von (absoluter) Freiheit, in deren Namen sich seit Menschengedenken Kämpfe abspielen in einer fragwürdigen Folge von Quantitäts- und Qualitätssprüngen? Überhaupt Freiheit, wie groß muss die Sehnsucht von Einar Schleef danach gewesen sein, da er häufig und häufiger den Blick auf Bäume – auch eine Kreatur, wie er sagte – und deren Wurzeln lenkte, die sich aus Pflastersteinen mühselig, stetig befreien und nach vollbrachtem Akt der Selbstbefreiung ohne Schutz windschief und gezaust doch aufrecht stehen – ein Sinnbild für ihn selbst, der unvereinnehmbar zwischen den Welten stand, ein wirklich unabhängiger Künstler ein viel zu kurzes Leben lang. Ein Künstler, dessen Fotografien, die „ungebundene Form des Sehens“ verkörpern - um Susan Sontag für sein Werk als geistige Patin hier einzuführen. Wieviel verrät es über die Zeit und ihren Geist, wenn einer, sich im Fernsehen sehend, selbst fotografiert? Sucht er den doppelten Abstand zu sich selbst oder ist der wiederkehrende schwarze Streifen ihm mal den Mund verschließend, mal sich über die Augen und dann über den Ort des Denkens, die Stirn legend, ironischer Ausdruck dessen, wie wenig Möglichkeiten und Aussicht reale wie fernsehfiktive Personen haben, die Welt nach ihren Zwecken einzurichten? Oder, was lese ich, wenn ich einen Kontaktbogen mit der alten Mutter beim Baden sehe und nur wenige geheftete Bogen weiter die Freundin in ebenderselben Position? Wieviel Sensibilität und wieviel Respekt vor dem jungen wie dem alten weiblichen Körper vermittelt mir das? Ich habe zuallererst Einar Schleef zu danken – das Konzept, das bei einem Stück Erdbeerkuchen entstand, und das in Einar Schleefs eigener Verwirklichung vollkommen anders vor uns stünde, hat mir eine anstrengend, niemals angestrengte Zeit beschert. Zu danken habe ich: insbesondere den Schleef Erben, Frau Gabriele Gerecke und Herrn Hans-Ulrich Müller-Schwefe, für Vertrauen, Geduld und Rückhalt, Arno Fischer, der sich auf das Abenteuer einließ, einen inkommensurablen Bestand gleichfalls zu sichten, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Akademie: Frau Schmaus und ihrem Team für souveräne und adäquate Gestaltung und Realisation, Frau Susan Todd und Herrn Stephan Dörschel für sachkundige Beratung und Begleitung, Gerhard Ahrens für Ermutigung und Rat, Heiner Sylvester für die Öffnung zum Thema Film und, unserer Assistentin Simone Demmel, die uns tapfer half die logistischen Probleme im Griff zu behalten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Einführung Kontaktbögen stellen zunächst nichts anderes als die Summe der Aufnahmen dar, die ein Fotograf im Lauf seines Arbeitslebens gemacht hat, und zwar in einer Form, die eine aufs Ganze wie aufs Einzelbild gerichtete Arbeit mit dem Material ermöglichen soll: es sind im Kontaktverfahren von den in Klarsichthüllen geordneten Negativen hergestellte Bögen auf Fotopapier, die nun die Bilder im Positiv zeigen. Fotoarchive bestehen oft aus Reihen von Leitzordnern, in denen diese Negativ- und Positivsammlungen entweder chronologisch nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung oder nach Bildinhalten geordnet aufbewahrt werden. Kontaktbögen zeigen dem aufmerksamen Betrachter zweierlei: zum einen die Reihenfolge der Aufnahmen – denn an den im Film sichtbaren Negativnummern läßt sich nachträglich nichts mehr verändern; zum anderen geben sie durch Pfeile, Striche, und kommentierende Anmerkungen Hinweise auf die Arbeit des Fotografen mit seinen Aufnahmen. Sobald nun ein Fotograf seine Kontaktbögen zur Ausstellung herausgibt, begibt er sich damit wesentlicher Eingriffsmöglichkeiten, die zur Arbeit des Fotografen gehören: die Auswahl des Einzelbildes aus dem Kontinuum der fotografierten Serie, die Bestimmung von Ausschnitt, Format, Hell-Dunkel-Abstimmung usw. – es sei denn, er habe etwas anderes damit im Sinn: nämlich auf ein konzeptionelles Arbeiten hinzuweisen, auf einen anderen Begriff des Fotografierens, eine andere Sicht auf Zeit und Raum. Das Arbeiten in Bildserien, die einen zeitlichen Verlauf nachstellen , gibt es seit dem Beginn der Fotografie – ich erinnere an die berühmte Gesprächsserie von Nadar, die wir als eine der ersten Fotoreportagen ansehen, später dann die seriellen Bewegungsstudien von Eadward Muybridge oder Ottomar Anschütz. In den 1970er Jahren, als Einar Schleef auch fotografisch bereits ausgebildet und aktiv war, entstanden neue Konzepte fotografisch-seriellen Arbeitens: ich erinnere an Jochen Gerz, Jürgen Klauke, Nicholas Nixon oder Duane Michals. Aber alle diese Konzepte zielen auf sorgfältiges Komponieren von Bildblöcken, in denen nicht mehr die reale Zeit, sondern eine Zeit und Raum auf einer anderen Ebene zum austarierten Bild strukturierende Arbeitsweise stattfindet. Ist der Verlauf des Knipsens, wie er uns vom einzelnen Kontaktbogen suggeriert wird, ein linearer, so spielt sich nun, in den gleichzeitig räumlichen Konzepten der genannten Foto-Künstler, ein anderer Begriff von Zeit und Raum ab - ich zitierte aus einem Text von Duane Michals: „Früher glaubte ich, daß die Zeit horizontal sei und ich, geradeaus blickend, den nächsten Donnerstag sehen könnte. Heute denke ich, daß sie vertikal ist, und diagonal, und perpendikular.“ Etwas ähnliches mag Einar Schleef empfunden haben, als er seine Ausstellungskonzeption der „Kontaktbögen“ aufzeichnete. Er will uns die von ihm fotografisch festgehaltene Welt in einer Totalität zeigen, die sich linear in Kontaktbögen, vertikular und diagonal in Serien und Sequenzen noch von ihm selbst ausgewählter und vergrößerter Bilder darstellt – beachten Sie besonders die Serie der „Nachbarn“ im 1.Ausstellungsraum. - Wobei Beschriftungen einzelner Bilder nach Jahren und Inhalten als unwesentlich wegfallen – allenfalls hätte er vielleicht, lebte er noch, Texttafeln hineinkomponiert, um visuelle Anmutungen zu lenken oder zu stützen. Die Betrachtung von Einar Schleefs Kontaktbögen läßt über das Materielle am Bild, seine Erzählung, seine Form hinaus, und das ist ein zentraler Aspekt seines Fotografierens, Rückschlüsse zu auf das Temperament dessen, der da mit der Kamera unterwegs war, die unbewußte Strategie, mit dem Situationen gesehen, erkannt, gewählt, eingekreist, umgangen und schließlich in Bildsequenzen festgehalten werden. Was auf den ersten Blick mitunter redundant wirken kann, erschließt sich bei genauerem, lupenhaften Hinsehen als minimale Veränderung – des Lichts, der Lineatur, der Grauabstufungen. Sichtbar wird das Abschreiten des Raumes, das Einkreisen einer visuellen Idee, die mühsame und minimalistische Arbeit, diese ins Bild zu übertragen. Hinsichtlich der Masse der fotografierten Aufnahmen verblüfft die demgegenüber geringe Zahl von Aufnahmen, die Schleef selbst vergrößert, d.h. als zeigenswert, veröffentlichenswert ausgewählt hat. Das läßt die Vermutung zu, daß ihm der Vorgang des Fotografierens selbst wichtiger war als das einzelne Bild. Das kann aber auch bedeuten: erst mal festhalten, sammeln, einheimsen, horten, zwecks späterer Verwendung: Angesichts seiner Biographie eine naheliegende Folgerung. Die Bilder von der einen Seite der Mauer für das Leben auf der anderen Seite der Mauer als Erinnerungsarsenal aufzeichnen – , und auch als Verankerung im Fluß der Zeit, als tägliche Übung in Selbstvergewisserung. In einer Bildsprache, in der ebensoviel Tristesse wie Aufbegehren spürbar wird, lassen sich Spuren, Beeinflussungen, Anmutungen einer fotografischen Ästhetik ausmachen, wie wir sie seit den Fotografien der New Topographics und der Straight Photography der 70er Jahre finden. Die entsprechenden Kataloge und Zeitschriften gelangten immer über die Mauer, ich erinnere mich an einen Besuch mit Robert Frank, Ute Eskildsen und Michael Schmidt in Ost-Berlin, wo wir uns mit Fotografen aus der DDR trafen – Helga Paris, Arno Fischer, Christian Borchert und einige andere - und die waren erstaunlich gut informiert. Schleef traf dann um 1984 in Berlin-West auf Michael Schmidt, der zu den bestinformierten Fotografen der Szene gehörte und mit seiner Kreuzberger „Werkstatt für Photographie“ die Verbindung aus den USA nach Berlin West wie Ost zustande brachte. Was Schleef in seiner Studienzeit an der Weißenseer Kunsthochschule gelernt hatte – sein Lehrer in Fotografie war dort Arno Fischer gewesen – konnte er hier im Diskurs mit der westlichen Realität und ihrer kritischen Bildwelt vertiefen. Arno Fischer ist es denn auch zu danken, daß wir in dieser Ausstellung hier ein Kapitel finden, in welchem sich nicht der ehemalige Lehrer, sondern ein großer Kollege von heute auf einen Dialog mit Schleefs fotografischem Material einläßt. Und nicht zum ersten Mal ist festzustellen, wie fruchtbar ein anderer, ein fremder und doch vertrauter, mit den Dingen und ihrer leidenschaftlichen Sprachstruktur vertrauter Blick die Bilder hervorlocken und durch richtiges Licht in Szene setzen kann! Fischer arbeitet bildsprachliche Elemente heraus, die zu den ureigenen Strategien der Fotografie, zu ihrem bildnerischen Denken führen: das Arbeiten mit Linien und Schatten, mit Helldunkelflächen, Verschattungen und Spiegelungen – das alles sind Dinge, die Schleef gesehen hat, sonst hätte er sie nicht fotografiert, die jedoch erst in Arno Fischers Augen zum Einzelbild erhoben und in seinen sorgfältig komponierten Tableaux und Sequenzen ihr bildhaftes Gelingen, ja, ich möchte sagen: ihre Schönheit offenbaren. Wir sehen eine Ausstellung über Deutschland Ost und seine nicht endenwollende Nachkriegszeit, dort die ästhetische Verwahrlosung durch Armut, aber auch Züge eines sanfteren Verfalls, der als natürlicher Prozeß erscheint, da er dem westlichen Verwertungsdruck, dem westlichen Vermehrwertungsblick weniger ausgeliefert war (vermutlich nicht, da dort die besseren Menschen lebten, sondern da sie die schlechteren Maschinen hatten) - und das sehen wir an den Rändern der Strassen wie der Gesichter. Und dann Deutschland West, die Vereinigung mit der selbstzufriedenen Verwahrlosung des anderen Landes, worauf man doch erst mal ganz scharf war: dem Edelmüll der Medien, der Reklame, des Konsums – Schleefs zweites großes Thema, eine wilde, ungeordnete Parallelwelt zu Schmidts kompromißlos das deutsche Elend beschreibender Arbeit „EIN-HEIT“ – und dazwischen ein Kopf auf Gleisen, welch ernüchternde Pointe neben der Verstümmelung eines Baumes in der Nußbaumallee. Und noch eines wird hier sichtbar: Schleefs fotografische Aneignung der Welt scheint mir weniger auf Fotografie als eine Technik zur Erzeugung von Bildern denn auf ein Gesamtkunstwerk aus Bildinhalten und ihren Gesten und Bewegungen in Räumen zuzusteuern, die von Licht und Dunkel geprägt sind – ein Gesamtkunstwerk, wie es das Theater ist. Auch diese Ausstellung scheint der Autor als Folge von Bühnenbildern für einzelne Szenen seines Lebens konzipiert zu haben, deren letztes den Raum hinter sich läßt, um sich ins Offene zu verlieren. |
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