13.4.2004

Kontrapunkt Akademie (IV): Haben die Intellektuellen an Europa versagt?

Montag, 19. April 2004, 20 Uhr 13.04.2004
Hanseatenweg 10, Berlin-Tiergarten

Adolf Muschg im Gespräch mit
Hartmut von Hentig, Manfred Osten, Roger de Weck und Klaus Harpprecht

Wo immer Europas Grenzen liegen: begrenzt scheint jedenfalls das Interesse der Künstler und Intellektuellen an Europa. Osterweiterung und Verfassungskonvent haben bei ihnen keine heftige Reaktion ausgelöst. Gegen das institutionalisierte Europa, das Projekt der Administratoren und Technokraten, bleibt der kulturelle Abwehrreflex in Kraft. Allerdings ist er so komplex wie Europa selbst. Sind die Pragmatiker bessere Europäer? Seit dem Ende des Kalten Kriegs sind sie es, nicht die Visionäre, die das vereinigte Europa kommen sehen wollen und herbeiorganisieren. Für die Völker scheint die Formel Willy Brandts, "dass zusammenkommt, was zusammengehört", auf europäischem Niveau noch etwas weniger zu gelten als auf dem nationalen, wo sie bereits nicht gehalten hatte, was sie versprach. Warum ist der europäische Prozess von so wenig Freude und Neugier begleitet, warum fehlt es besonders bei der europäischen Intelligenz am Gefühl der Errungenschaft und der erweiterten Identität?
Abgesehen davon, dass Europa weiterhin starke Gründe liefert zur Skepsis gegen sich selbst: der alles beherrschende Reparaturzwang in den sozialen Systemen aller Länder hat ein Klima geschaffen, das großen Würfen nicht günstig ist. Es scheint schon viel, wenn das Einigungswerk wenigstens als Sachzwang empfunden wird und auf kleiner Flamme pflichtschuldig weiterkocht. Europäer, so scheint es, erkennen hinter dem, was ihnen Sorgen bereitet, nicht mehr deutlich, was ihnen Not tut. Das nationale Hemd – es mag unansehnlich und rissig sein wie es will – liegt ihnen wieder näher als der europäische Rock. Dem territorialen Wachstum entspricht keine zuverlässige Aussicht auf ein ökonomisches Wachstum, und dieses selbst unterliegt dem lähmenden Zielkonflikt der gesamten Zivilisation. Was soll Europa? Wird es dafür geschaffen, den Standort unter Global Players zu verbessern, oder kann es gegen ihre Logik ein Gegengewicht bilden? Und von welcher Art? Es wäre viel, wenn sich das "geistige Europa" solche Fragen überhaupt noch stellte. Dass es sie beantworte – und gar mit Manifesten und Programmen – wäre zu viel verlangt. Europa hat einstweilen (wenn alles sehr gut geht) eine Organisation und (wenn es hoch kommt) eine Verfassung. Eine Politik hat es noch nicht.

Klaus Harpprecht, 1927 in Stuttgart geboren, lebt seit 1982 als freier Schriftsteller in Frankreich. Er arbeitete viele Jahre als Journalist für Hörfunk- und Fernsehredaktionen, war 1966-1969 Leiter des S Fischer Verlags, 1972-1974 Berater und Redenschreiber von Willy Brandt. Aktuelle Aufsätze und Essays von Klaus Harpprecht erscheinen u.a. in der Wochenzeitung Die Zeit.
Buchveröffentlichungen (u.a.): Willy Brandt. Porträt und Selbstporträt (1984), Thomas Mann (1995), Mein Frankreich (2000), Im Kanzleramt (2000), Harald Poelchau (2004)

Eintritt € 5,-/ erm. € 4,-

Informationen zum Programm
Dr. Hans Gerhard Hannesen, T 030 39076-130, Dr. Marion Neumann, T 030 39076-129
Pressekarten T 030 39076-321 / -173, Fax -175

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