20.10.2006

Lange Nacht der Akademie der Künste

zur Herbst-Mitgliederversammlung der Akademie (27. bis 29. Oktober)
Gespräche, Lesungen, Konzerte, Filme
Sonnabend, 28. Oktober, ab 19 Uhr
Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten

Erstmalig eröffnet Akademiepräsident Klaus Staeck die Lange Nacht der Akademie. An dem Auftaktgespräch „Alle Kunst ist politisch“ beteiligen sich Jutta Brückner (Moderation), Günter Grass, Gerard Mortier, Leoluca Orlando und Andres Veiel.
Die Sektion Baukunst beginnt eine Debatte zur Baukultur, die sich nicht auf Architektur beschränkt, viel weniger noch auf die neue Lust an alten Fassaden. Im Zentrum stehen die öffentlichen Räume unserer Gesellschaft und die Natur der Stadt, in der wir leben wollen. Werner Durth, Karla Kowalski, Heiner Moldenschardt, Donata Valentien und Peter Zlonicky lesen und kommentieren Texte zu Architektur und Stadt.
Der Titel der Filmdokumentation „Route 181“ (Fragmente einer Reise in Palästina-Israel) von Michel Khleifi und Eyal Sivan geht auf die UNO-Resolution 181 von 1948 zurück, nach der das ehemalige Palästina in zwei Staaten geteilt werden sollte. Khleifi und Sivan sind an dieser „Grenze“ entlang gefahren und haben sich von Israelis und Palästinensern ihre Geschichten erzählen lassen. Thomas Heise führt in den Film ein.
Der Streit um ein Volkslied veranlaßte die bulgarische Regisseurin Adela Peeva zu einer Reise quer durch die Länder und Kulturen Südosteuropas. In ihrer filmischen Dokumentation „Wem gehört das Lied?“ berichtet sie, daß ihr das Lied als Liebeslied, Militärmarsch, muslimisches Gebet und Revolutionsgesang vorgetragen wird. Ihre Recherche zeigt tiefe Gräben zwischen den Nachbarn auf dem Balkan. Im Anschluß an den Film findet ein Gespräch zwischen Nele Hertling und Adela Peeva statt.
Reinhard Jirgls 1997 erschienener Roman „Hundsnächte“ handelt von der jüngsten deutschen Geschichte. Mitte der 90er Jahre schließt sich ein ostdeutscher arbeitsloser Ingenieur einer Abrißkolonne an, die im ehemaligen Grenzgebiet ein schon zu DDR-Zeiten evakuiertes Dorf abtragen soll. Doch zuvor muß ein letzter Bewohner zum Auszug überredet werden. Ein  endloser Strom der Erinnerung beginnt.
Akademiemitglieder stellen junge Künstler vor, die in diesem Jahr durch das Stipendiaten-Programm der Jungen Akademie gefördert werden. In die Lesung des rumänisch-ungarischen Autors György Dragomán führt György Konrád ein. Dragománs Roman kreist um einen ins Arbeitslager verschleppten Vater, einen schweigenden Großvater, früher Parteisekretär, der seiner Schwiegertochter jegliche Hilfe verweigert, zwei die Wohnung regelmäßig durchsuchende Ermittlungsbeamte und einen die Geheimnisse der Familie ergründenden Sohn: er erzählt in fast kafkaesker Weise vom allgegenwärtigen Ausgeliefertsein. Der vielseitige spanische Komponist Hèctor Parra präsentiert seine Komposition „Wortschatten“ für Violine, Violoncello und Klavier. Zur Einführung spricht Georg Katzer. 
Helmut Oehring verbindet in seiner im Mai in Basel uraufgeführten Oper UNSICHTBAR LAND Shakespeares Drama „Der Sturm“ mit den Tagebuchberichten des englischen Polarforschers Shackleton über dessen gescheiterte Expedition in die Antarktis. Mit diesem Über- und Nebeneinander der Ereignisse korrespondieren auf musikalischer Ebene zwei unterschiedliche Klangwelten: Musik von Henry Purcell und Oehrings eigenes Idiom spiegeln sich wechselseitig, Berührungen, Überlappungen und Vermischungen ergeben einen faszinierenden Prozeß der Annäherung bis zum letztendlichen Rollentausch. An dem Gespräch in der Akademie beteiligen sich neben Helmut Oehring Regisseur Claus Guth und Intendant Michael Schindhelm.
In der Ausstellung „Tony Cragg – Das Potential der Dinge“ diskutiert der Künstler mit Alfonso Hüppi, Robert Kudielka und Micha Ullman über Bildhauerei und Zeichnen.


Programm der Langen Nacht 
Sonnabend, 28. Oktober, ab 19 Uhr, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten

Alle Kunst ist politisch
Jutta Brückner im Gespräch mit Günter Grass, Gerard Mortier, Leoluca Orlando und Andres Veiel

Potentiale im Tun - Bildhauerei und Zeichnen
Robert Kudielka im Gespräch mit Tony Cragg, Alfonso Hüppi und Micha Ullman

UNSICHTBAR LAND
Oper in 7 Tagen von Helmut Oehring; (am 7. Mai 2006 im Theater Basel uraufgeführt)
vorgestellt von Claus Guth, Regie, Helmut Oehring und Michael Schindhelm

„Route 181 - Fragmente einer Reise in Palästina-Israel“
Film von Michel Khleifi, Eyal Sivan F/B/GB/D 2003, 270 Min, anschließend Nachtgespräch
Einführung Thomas Heise

„Hundsnächte“
Reinhard Jirgl liest aus seinem Roman  (1997), Einführung Katja Lange-Müller

Architektur und Stadt
Einführung Donata Valentien, es sprechen und lesen Werner Durth, Karla Kowalski, Heiner Moldenschardt, Donata Valentien, Peter Zlonicky

„Wem gehört das Lied?“, Film von Adela Peeva, BG 2003,
anschließend Nele Hertling im Gespräch mit Adela Peeva

Junge Akademie in der Akademie
György Dragomán, Budapest, liest aus seinem Roman „Der weiße König“, (2005, dt. 2007)
Einführung György Konrád. Es liest Götz Schubert.

Hèctor Parra, Madrid, stellt seine Komposition  „Wortschatten“, Trio für Violine, Violoncello und Klavier (2004) vor. Einführung Georg Katzer. Es spielt das Kammerensemble Neue Musik Berlin

Mitternachtstanz mit dem Salon Orchester Berlin
Eintritt 10,- Euro / ermäßigt 7,- Euro


Sonntag, 29. Oktober, 11.00 Uhr, Matinee,  Pariser Platz 4, 10117 Berlin-Mitte

„Elissa“
Kammeroper von Ruth Zechlin,
uraufgeführt am 9. April 2005 in Passau, Südostbayerisches Städtetheater,
vorgestellt von Basil H. Coleman, Dirigent, Stefan Tilch, Regie, und Ruth Zechlin
mit Annabelle Pichler, Sopran, und Frieder Lang, Tenor
Eintritt 6,- Euro / ermäßigt 3,- Euro


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Nachtrag vom 13.11.2006

Rede des Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck, zur Eröffnung der „Langen Nacht“ im Rahmen der Mitgliederversammlung (28.10.2006)


Meine sehr verehrten Damen und Herren,
verehrte Mitglieder der Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht und der Zwischen-schichten, die in Zeiten der Mischkalkulation sich einer klaren Definition immer mehr entziehen.

Ich begrüße Sie alle zu dieser 'Langen Nacht' der Akademie der Künste, die ich mit einer kurzen Rede einleiten möchte.

Das Motto der Langen Nacht "Kunst ist immer politisch" verdanken wir Gerard Mortier, der anschließend mit Günter Grass, Leoluca Orlando (dem ehemaligen Bürgermeister von Palermo), dem Filmemacher Andres Veiel und Jutta Brückner zu diesem Thema sprechen wird.

Vor genau einem halben Jahr bin ich zusammen mit anderen in diesem Hause umhergerannt, um dem einen oder anderen Kollegen die Vorzüge des Präsidentenamtes in den wunderbarsten Farben auszumalen. Alles in der Hoffnung, dass so der Kelch barmherziger Weise an mir vorbeigehen möge.

Dem war dann bekanntlich nicht so. Und nach dem uminterpretierten Satz aus dem Johannes-Evangelium, Kapitel 5: "Steh' auf, nimm dein Bett und geh'" bin ich nun unterwegs, ständig gefragt werdend, ob mir denn das neue Amt auch Spaß mache, ganz so, als müsse heute alles und jedes unbedingt Spaß machen. Jedenfalls bringt mich diese Frage immer wieder und immer noch in Verlegenheit.

Noch vor dem Wahltag hatte ich bei einer dieser Reihum - Befragungen auf die Frage, was die Akademie denn brauche, geantwortet: Ruhe nach innen und Bewegung nach außen. Beides ist, und das nicht nur nach eigener Einschätzung, im letzten Halbjahr weitgehend gelungen. Die Akademie tritt wieder erkennbar in Erscheinung. Nach dem erfolgreichen Sieg über den Schimmel am Pariser Platz, drängt es Mitglieder und Personal aus den Katakomben  zum Lichte empor.

Wieder einmal hat sich der oft zitierte Satz unseres verehrten Ehrenpräsidenten Walter Jens bewährt: "Auf dem Wege zum Abgrund kann eine Panne sehr nützlich sein!" Wir haben die Karambolage genutzt. Und der chorus mysticus der Krisenbeschwörer ist verstummt.

Viele ehemals von uns Enttäuschte schauen wieder erwartungsvoll auf unsere beiden so unterschiedlichen Häuser, von denen wir keines missen wollen. Intern richten sich die Blicke ebenso erwartungsvoll auf unseren neuen Programmdirektor Johannes Odenthal, der wie ein Zauberkünstler alles richten und vor allem bündeln und straffen soll.

Einen neuen Weg gehen wir jetzt mit den Akademie-Gesprächen, auch, um die von allen Seiten und dem neuen Bundesgesetz angemahnte kulturpolitische Kompetenz und Urteilsfähigkeit unserer Künstlersozietät zu stärken und sich wieder aktiv in die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen einzumischen, ohne daraus gleich eine Akademie der Herzen machen zu wollen.

Die ersten sechs Akademiegespräche haben bereits stattgefunden, von den Medien stark beachtet. Das letzte galt der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja, auch als Signal um Flagge zu zeigen gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, wo immer sie stattfindet.

Das vorletzte Gespräch war der anstehenden Novellierung des Urheberrechts gewidmet, eines Gesetzesvorhabens, das die Rechte der Kreativen zu Gunsten der Geräteindustrie drastisch einzuschränken droht. In dieser Sache bleiben wir weiter am Paragrafen-Ball.

Über einen Mangel an Aufregung brauchte ich mich jedenfalls nicht beklagen. Namen pflasterten meinen Weg.

Es begann mit Uwe-Karsten Heye, der ausgerechnet während der Fußball-WM behauptet hatte, dass es in Deutschland NO-GO-AREAS gäbe. Wir boten zu diesem Thema gleich das 2. Akademiegespräch an, was mir wiederum den ersten Nestbeschmutzervorwurf im Amt bescherte.

Ärger ging es zu gegen den touristisch äußerst erfolgreichen Tabu-Bruch mit einer Arno-Breker-Ausstellung in der Schweriner Provinz. Jedenfalls bekam ich nach langer Zeit der Entbehrung wieder anonyme Briefe, vor denen mich mein freundliches Büro erst bewahren wollte, nicht wissend, dass in meinem Archiv eine große rosa Kiste steht, in der noch Platz ist.

Schließlich als Präsident zur Einhaltung der vor meiner Zeit durch die Akademie geschlossenen Verträge verpflichtet, musste ich mir den Vorwurf gefallen lassen, eine Johannes-Heesters-Ausstellung in der Akademie nicht verhindert zu haben.

Dann ging es Schlag auf Schlag. In die Debatte um die Zu- und Aberkennung des Düsseldorfer Heine-Preises an Peter Handke platzte die Enthüllung von Günter Grass, dass er als 17jähriger der Waffen-SS angehört habe und den es nicht nur als Freund gegen allzu ungerechte Urteile und Verurteilungen zu verteidigen galt..

Schließlich kam mit "Idomeneo" über unser Mitglied Hans Neuenfels via Mozart auch noch die Oper ins Spiel.

Zu nennen wäre ebenso Hartmut Mehdorn, der Bahnchef, den mein Zorn leider nie erreicht, wenn aus der Sechs-Stunden-Fahrt von und nach Heidelberg wieder einmal sieben Stunden geworden sind.

Nach meiner Wahl ermahnte mich mein Freund Hark Bohm zu proletarischer und künstlerischer Wachsamkeit mit den Sätzen: "Kunst ist immer auch ein Spürhund der Gesellschaft. Du musst ihn wieder auf die Fährte setzen". Ich denke, für eine hundefreundliche Stadt wie Berlin gar keine so schlechte Empfehlung .

Eine andere Botschaft erreichte mich aus dem Photographiedepot Leipzig mit dem tröstenden Zitat eines John Franklin, das da lautet "Ohne Langsamkeit kann man nichts machen, nicht einmal Revolution".

Apropos Revolution. In arge Verlegenheit brachte mich kürzlich der Redakteur einer großen Zeitung, als er ein langes Gespräch in meinem Büro mit Brandenburger-Tor-Blick am Pariser Platz mit dem Satz einleitete: "Warum rufen Sie von diesem privilegierten Platz nicht die Revolution aus? Schließlich schreien die Verhältnisse doch geradezu danach".

Be- und getroffen erwiderte ich: für derartige Unternehmungen brauche man doch einen Balkon. Um mich jedoch gleich zu erinnern, dass Scheidemann auch keinen Balkon hatte, als er die Deutsche Republik ausrief.

Seitdem gärt in mir diese Frage, bohrt sich immer tiefer ein in mein Selbstverständnis vom Kämpfer gegen alles Miese und Fiese. In meiner ersten Not erinnerte ich mich schließlich an den Satz meines Freundes Oskar Negt: "Die wahren Revolutionäre sind die entschiedenen Reformer". Das ist allerdings auch kein Trost in Zeiten, in denen gerade die Reformen so schlecht beleumundet sind.

Also doch weiterarbeiten am Projekt Revolution? Doch bis der auf dem Pariser Platz stationierte Leierkasten die Internationale oder gar die Marseillaise im Dudelprogramm hat, bin ich längst nicht mehr Präsident und der Ruf "Prekarianer aller Bundesländer vereinigt Euch" verhallt ungehört.

Aber wofür haben wir eigentlich eines der bedeutendsten Archive der Republik, sind stolz auf unsere 900 Nachlässe. Ein entsprechender Suchantrag nach waffenfähigem Material förderte Erstaunliches zu Tage:

1. ein Jagdgewehr, eine sog. Doppelflinte mit Futteral von Johannes R. Becher
2. ein Revolver von Kurt Tucholsky
3. aus dem Nachlass von Paul Robeson acht Speere und drei Bumerangs
4. schließlich aus dem Nachlass von John Heartfield drei Säbel

Also alles in allem – zählt man Speere und Bumerangs dazu – 16 Angriffswaffen im Besitz einer wehrhaften Akademie. Sollte das vorrevolutionäre Blut also doch noch zum Kochen gebracht werden, ist auch deshalb Eile geboten, weil für Bechers Doppelflinte die Abgabe ans Deutsche Historische Museum Berlin vorbereitet wird und wichtiger: bevor um den Pariser Platz die Panzersperren endgültig installiert werden, die unseren Nachbarn, die US-Botschaft vor Überfällen von Landseite schützen sollen. Viel kann man mit 16 Waffen nicht bewegen, aber für eine schlichte Geiselnahme im benachbarten Hotel Adlon reichen sie allemal.

Einen neuen Napoleon, der heute Nachmittag in Gestalt eines Amerikaners noch einmal symbolisch durchs Brandenburger Tor geritten ist, könnte man damit jedoch nicht aufhalten.

Dasselbe Archiv, das rein waffenmäßig gute Hilfsdienste leisten könnte, lud kürzlich zu einer Armin-Kesser-Veranstaltung mit folgendem Zitat ein: "Es gibt Zeiten, in denen das Bewahren eine revolutionäre Tätigkeit ist". Sogar die taz, die man noch am ehesten mit revolutionärem Elan in Verbindung bringt, titelte vor acht Tagen "Kein Bock auf Revolution" und ein Artikel über Christoph Schlingensief endet mit der leicht melancholischen Feststellung: "Nach der Romantik der Revolution folgt die Nostalgie der Macht". Ja was denn nun?

Dabei gibt es wahrlich genügend Gründe für eine Revolution:

- So könnten wir Verbündete sein bei einem möglichen Aufstand der Prekarianer gegen Agenda 2010 und Hartz I bis IV, oder sollte man besser noch Hartz V oder die Ergebnisse der Gesundheits- und  vor allem der nächsten Rentenreform abwarten? Denn die Überalterung nimmt weiter zu. Wenigstens zu diesem Thema kann die Akademie aus eigenem Erleben etwas beitragen.

- Außerdem: Der Kampf gegen den sich verstärkenden Rechtsradikalismus bleibt auf der Tagesordnung. Die Akademie engagiert sich hier schon lange in Brandenburg, indem sie versucht, vor allem Jugendlichen Lust auf Demokratie zu machen.

- Engagement ist auch gefordert bei der Verteidigung des öffentlichen Raumes gegen die allzu rigorosen Privatisierungsorgien. Denn nach wie vor ist der öffentliche Raum ein Raum, in dem sich Demokratie ungehindert entfalten kann. Keine Frage: Dazu gehört auch die Akademie.
Und es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn jetzt wie in einer Würzburger Fachhochschule ein Hörsaal den Namen "ALDI-SÜD" trägt, nur weil der Staat kein Geld mehr für die Renovierung hat.

- Schließlich wäre eine Revolution fällig für die Verteidigung unserer Lebensgrundlagen. Das Ozonloch über der Antarktis ist so groß wie Russland und die USA zusammen. Bis 2020 werden unsere letzten Gletscher abgeschmolzen sein.
Gleichzeitig setzt Kanada das Kyoto-Abkommen bis 2050 aus und drei große deutsche Energiekonzerne kündigen die Renaissance des Klimakillers Braunkohle an, da sich das durch die CO2-Zertifikate sogar rechnet.

Ich fände ohne Mühe noch mindestens 20 weitere Gründe. Also Revolution schön und gut, aber wer würde sich denn im Ernstfall daran beteiligen? Sie, sie oder sie, vielleicht oder sicher?
 
Nach so viel Düsternis möchte ich zum Ende noch aus einem  Schriftstück, diesmal aus dem Archiv der Ost-Akademie, zitieren. Wie man einem Schreiben des Hauptdirektors der Vereinigung Volkseigener Betriebe 'Konfektion' vom 6. April 1962 entnehmen kann, bestand von Seiten der Akademie schon immer ein dringender Beratungsbedarf:

"In Auswertung der Diskussion über sozialistische Kunst werden von einigen Seiten die z. Zt. für Ausstellungen, Messen und in den Einzelhandelsgeschäften gebräuchlichen Bekleidungsbüsten (Puppen) kritisiert. Die Kritik reicht von "veraltet", "unrealistisch" bis zu "Ku-Damm-Figuren".

Wir haben bereits öfter völlig neue Büsten angeschafft und uns Mühe gegeben, den Aufgaben gerecht zu werden und die dekadente Gestaltung westlicher Erzeugnisse grundsätzlich zu vermeiden. Die Kritik besteht jedoch weiter.

Um zu einer neuen, der sozialistischen Kunst entsprechenden Gestaltung der Büsten (Puppen) zu kommen, schlagen wir vor, in einem Kreis sozialistischer Kunstschaffenden dieses Problem zur Aussprache und möglichst zur Klärung zu bringen.

Den Beginn der Aussprache schlagen wir vor für den 11. April 1962 um 10.00 Uhr in den Räumen des Deutschen Modeinstitutes. Einige Exemplare der jetzt gebräuchlichen Büsten werden wir dort vorstellen."

Ich freue mich auf unsere 'Lange Nacht', die gleich mit dem Gespräch "Alle Kunst ist politisch" beginnt mit Günter Grass, Leoluca Orlando, Andres Veiel, Jutta Brückner und Gerard Mortier, dem Direktor der Pariser Oper. Mortier, der jetzt bekannte, dass er nach Paris kein großes Opernhaus mehr leiten wolle: "Das zehrt zu sehr an den Kräften". Er hat immerhin schon die Hälfte seiner Zeit hinter sich. Ich erst ein Sechstel.

Klaus Staeck


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