15.5.2023, 15 Uhr
Akademie der Künste trauert um Sibylle Lewitscharoff (1954–2023)
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ist am 13. Mai 2023 im Alter von 69 Jahren in Berlin gestorben. In Stuttgart geboren, zog sie 1974 nach Berlin, wo sie Religionswissenschaften und Soziologie an der FU studierte. Ihr Studium führte sie 1977 für ein Jahr nach Buenos Aires und 1984 nach Paris. Im Anschluss arbeitete sie als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur, schrieb Features und Hörspiele für den Rundfunk. Für ihr literarisches Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen: Mit Pong gewann sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2009 wurde ihr für Apostoloff der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2013 bekam sie den Georg-Büchner-Preis.
Lewitscharoff wurde 2011 Mitglied der Sektion Literatur in der Akademie der Künste. Zu ihren Romanen zählten Der Höfliche Harald (1999), Montgomery (2003) und Consummatus (2006). 2014 stieß sie mit ihrer Dresdner Rede auf nachhaltige Kritik. Ihren religiösen Überzeugungen entsprechend griff sie die Reproduktionsmedizin mit harschen Worten an, von denen sie sich später distanzierte.
Martin Mosebach, Mitglied der Akademie der Künste, würdigt sie mit den Worten:
„Sibylle Lewitscharoff war die große Ausnahmegestalt in der zeitgenössischen Literatur. Selten findet man Gedanke und Form so eng miteinander verbunden wie bei ihr. Ihre Sprache ist wie die eines genialen Kindes; sie fühlte sich der deutschen Romantik verwandt, Brentano vor allem und Jean Paul. Von dieser höchst eigentümlichen Sprache ließ sie sich führen, die Sprache gebar die Gedanken. Sie war davon überzeugt, daß Literatur mehr leisten müsse als eine Mimesis der Realität – daß Phantasie die scheinbar engen Grenzen des Wirklichen zu sprengen hätte, um das Mögliche einströmen zu lassen. Der Begriff ‚Diesseits‘ war sinnvoll für sie nur, wenn ihm auch ein ‚Jenseits‘ entspräche. Was sie von diesem Jenseits zu sagen wußte, ließ das kaum glaubliche vermuten: daß sie nämlich tatsächlich einen Blick dorthin getan habe. Aber sie sprach nie als Prophetin, sondern spöttisch, spielerisch, menschenfreundlich; unerschöpflich war dabei ihre Freude an Worterfindungen, als gelte es, für das, was sie beschrieb, die Welt hinter der Welt, eine eigene Sprache zu entwickeln.“
Die Akademie trauert um ihr Mitglied.
Jeanine Meerapfel
Präsidentin der Akademie der Künste