28.2.2007

9. Akademie-Gespräch: Das Radio und die Kultur

Uwe Kammann im Gespräch mit Gerhart-Rudolf Baum, Wolfgang Hagen, Christoph Lindenmeyer und Johannes Wendt
Einführung Klaus Staeck

Montag, 19. Februar 2007, 19 Uhr
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin-Mitte, Plenarsaal
Eintritt € 6,- / € 4,- / bis 18 Jahre frei

Das Radio wird sich in kürzester Zeit neu erfinden und zugleich wird es bewahren müssen, was hörenswert ist. Die Digitalisierung erlaubt künftig die Nutzung von wesentlich mehr Frequenzen als bisher über analogen UKW-Funk verfügbar waren. Doch wird sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch für die nicht sehr große, angeblich nicht sehr junge, aber höchst anspruchsvolle Klientel der Hörer von Kultursendern nutzen? Oder wird das Prinzip „Durchhörbarkeit“ in einem „Tagesbegleitprogramm“ (Vokabeln aus den Strategiepapieren von Programmreformern) auch für Kulturwellen zum Leitbegriff? Dann könnte Rundfunk als Kulturmedium, als Vermittler von gehaltvollem Wort und von Musik jenseits der Geräuschberieselung und der Klassikhäppchen bald nur noch eine sentimentale Erinnerung sein. Öffentlich-rechtliches Kulturradio verdient unsere Unterstützung. Vor dem Start in die digitale Zukunft dazu ein Plädoyer der Akademie der Künste.

Gerhart-Rudolf Baum Bundesinnenminister a. D., Vorsitzender des NRW-Kulturrats
Wolfgang Hagen Leiter der Abteilung Kultur und Musik, Deutschlandradio Kultur
Uwe Kammann Direktor des Adolf-Grimme-Instituts
Christoph Lindenmeyer Koordinator für kulturelle Beziehungen und Projekte, Hörfunk-direktion Bayerischer Rundfunk
Klaus Staeck Präsident der Akademie der Künste
Johannes Wendt Kulturjournalist

Live-Blog zur Veranstaltung am 19. 02. unter http://blog.adk.de

Einführende Worte von Klaus Staeck zum 9. Akademiegespräch

Diese Debatte betrifft so gut wie alle unsere Mitglieder unmittelbar. „Wir unterschätzen in unserer Schreib- und Telekultur, wie sehr wir vom Grundstrom der Mündlichkeit abhängen“. Ein Satz von unserem Mitglied Alexander Kluge, zu finden im Band „HörWelten“, einer Sammlung von Texten zum Hörspielpreis der Kriegsblinden aus dem Jahr 2001.
Wir können auch weiter zurückgehen. Und zwar in die Nachkriegszeit, als das Radio – nach dem fundamentalen Missbrauch als Propaganda-Lautsprecher durch die Nazis – zum bestimmenden Medium der Demokratisierung und einer neuen Zivilisierung wurde. Walter Hilpert, 1955 erster Intendant des Norddeutschen Rundfunks, war an dieser Radioarbeit maßgebend beteiligt, auch mit einer Reihe von Szenarien über Bedingungen des Rundfunks und über die Gestaltung von Programmen. Schon damals bezog er immer auch die von der Technik bestimmten Faktoren mit ein. Wesentlich war für ihn: Durch die Wiederbelebung der gesprochenen Sprache im Rundfunk auch eine Renaissance des Erzählens zu bewirken. Es müsse so klingen, dass das Instrument Rundfunk „alles aussagt ohne räumliche Nähe zum Hörer“. Aufmerksamkeit sei ein Schlüsselbegriff – zu suchen und zu finden in anspruchsvollen Programmen.
Der Rundfunkhistoriker Peter von Rüden hat solche Linien herausgearbeitet und dabei festgestellt: Schon damals fügte sich der Radiobetrieb, von den Alliierten in mehreren Ausprägungen in Deutschland installiert, auch den Gesetzen des Marktes. Eine „wilde, begeisterte, unproblematische Zeit“, wie vom großen Publizisten Axel Eggebrecht beschworen, sei schnell vorbei gewesen. Das Massenmedium Radio: schon damals ein Objekt in einem Spannungsfeld, von Konzeptionen bis zur politischen Einmischung.

Das Bundesverfassungsgericht ist übrigens nie so richtig konkret geworden in seinen Auslegungen des Artikels 5 Grundgesetz in dem Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit zu Basiseigenschaften der funktionierenden Demokratie erklärt werden. Im Rundfunkstaatsvertrag wiederum, der Magna Charta unserer Rundfunkordnung, ist der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und über den wollen wir heute sprechen – nur in einem weiten Rahmen formuliert. Er hat, dies der Leitsatz, durch die Herstellung und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen „als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken.“ Dabei hat er einen „umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“.  Und, dies eine weitere Bestimmung des Rundfunkstaatsvertrages, „sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen“. Ein Zusatz unterstreicht: „Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“. Das ist sie, die gesetzliche Ausformung des Auftrags.

Ich wiederhole noch einmal die Kernpunkte: Umfassender Überblick über das Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen; dann: Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung. Und schließlich: Beiträge insbesondere zur Kultur.
Das alles ist, völlig klar, ein sehr weiter Rahmen, der immer wieder aktuell interpretiert und immer wieder neu gefüllt werden muss. Auf einen Grundtenor können wir uns vielleicht sofort einigen: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat Kultur als Querschnittsaufgabe wahrzunehmen. Das gesamte Medium muss als Kulturinstrument verstanden werden. Auch dort, wo Unterhaltung angeboten wird.
Derzeit verändert sich die gesamte Medienlandschaft tiefgreifend und in hohem Tempo.
Das wichtigste Kennzeichen, zumindest im Potential: eine hohe Individualisierung, gekennzeichnet von durchgängiger Verfügbarkeit. Mithin: Inhalte jeglicher Art, um ein neutrales Wort zu gebrauchen, können jederzeit an jedem Ort auf immer universelleren Geräten empfangen werden. Digitalisierung, das bedeutet vornehmlich: Die Transportwege und Verbreitungsformen spielen eine immer geringere Rolle, statt dessen wird Verschmelzung ein Hauptmerkmal sein. Ebenso wie die zielgenaue Adressierung – und die ebenso zielgenaue Abrechnung. Immer mehr, immer schneller, immer billiger, überall – was Produktionen und Verbreitung betrifft : Das wäre die Grundformel. Was bedeutet: Die Medien verlieren mehr und mehr ihre alten Trennlinien. Hybridformen – Töne, Bilder, Texte – sind in der neuen Technik angelegt.
Meine – und sicher auch unsere – Frage: Bedeutet diese potentiell hochgradige Individualisierung (ermöglicht eben durch die digitale Technik) schon bald eine Abkehr von allen linearen Formen herkömmlicher Programme?
Ist die Abrufbarkeit von beliebigen medialen Formen die Hauptlinie und das Hauptmerkmal der Zukunft?
Ist in dieser harten medialen Konkurrenz um Aufmerksamkeit das Radio der natürliche Verlierer, dann jedenfalls, wenn es mehr sein soll als unverbindliches Begleitmedium?
Oder gewinnt das Radio, das Hörmedium, neue Stärken über neue technische Möglichkeiten der Präsenz?
Wird damit aber vielleicht das Ziel, über komponierte Kulturprogramme im zeitlichen Ablauf und im Raster einen gemeinsamen Gesprächs- und damit Verständnisraum für möglichst viele Bürger eines sich selbst definierenden Gemeinwesens zu schaffen, schon im Ansatz obsolet?
Es gibt Generalabsagen an diesen Auftrag, Grundzweifel, ob er überhaupt noch zu erfüllen sei.
Es gibt aber, dies noch viel stärker, Zweifel daran, ob der real existierende öffentlich-rechtliche Rundfunk unter der immer noch nicht aufgehobenen Zielsetzung eines gemeinwohlorientierten Auftrags seine Programmverpflichtungen ernst nimmt und den staatsvertraglich vorgegebenen Rahmen angemessen ausfüllt.
Hineingleiten in eine Verdummungs- und Verflachungsspirale, das sind die Hauptvorwürfe, die sich an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk richten. Gesehen, gehört – und kritisiert -- werden Marktanpassung, Angleichung, inhaltlich-formale Konvergenz zu den Angeboten der privaten Sender. Ideale der Konzentration, der Vielfalt, des formalen Reichtums, der hohen handwerklichen Standards, des größtmöglichen künstlerischen Spektrums würden verraten an Marketing-Muster und die Schein-Diktate einer Rezipientenforschung, welche einen erfolgreichen „Audience Flow“ – die konstante Hörerpräsenz auf der eigenen Welle – zum Herrscher mache, statt auf die individuelle produktive Auseinandersetzung mit vielfältigen, sorgfältig ausgearbeiteten Inhalten zu setzen.
Kontaktzahlen, also Quantität, sei wichtiger als Qualität: Dies der Hauptvorwurf.

Wir alle haben dazu unsere eigenen Beobachtungen gemacht. Aber wir alle, da bin ich ziemlich sicher, wissen auch nur wenig über die Gesamtlandschaft.
Neun Landesrundfunkanstalten mit, grob gesagt, jeweils einer Kulturwelle neben drei anders ausgerichteten Radioprogrammen in Richtung Tagesinformation, Unterhaltung und Begleitradio:
Das ist, schon  wegen der technischen Grenzen zwischen den Sendegebieten, nicht als einheitlicher Kulturraum zu erfahren.
Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, die beiden nationalen Programme:
Da kann natürlich jeder leicht erkennen, dass die Verfallsthese nicht als Generalverdikt zu halten ist.

Ein Blick in den Online-Auftritt der ARD zeigt: als Netzwerk bieten die Radio-Kulturwellen innerhalb der mehr als 60 Einzelprogramme viel, vom Feature über Informationssendungen bis zum Hörspiel und ausgedehnten Musikprogrammen, von zeitintensiven Diskussionsrunden bis zu Experimentalformen und multimedialen Versuchen.
Die Programmbereichsleiterin Kultur des Norddeutschen Rundfunks, Barbara Mirow, zieht eine daraus abgeleitete generelle Kritik am Programmniveau der Kulturwellen grundsätzlich in Zweifel und wirft der Bürgerinitiative „Das ganze Werk“ vor, den – beispielsweise – rund 1,2 Millionen Hörern von NDR Kultur einen ganz persönlichen Programmgeschmack aufzwingen zu wollen. Abstruse, methodisch nicht abgesicherte Behauptungen seien kein Beitrag, „um auch nur ansatzweise Aufschluss darüber zu erhalten, in welcher Weise die einzelnen Programme ihren Bildungs- und Kulturauftrag erfüllen“.

Wir wollen mit der heutigen Diskussion die Sonde anlegen: Wie steht es mit diesem Programmauftrag und dessen Erfüllung?
Wie lassen sich Kulturprogramme konzipieren, wie müssen sie gestaltet werden, um dem öffentlichen Mehrwert zu genügen, der ja zum dienenden Gesellschaftsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört und allein die Gebührenpflicht begründet?
Was gehört zur Radio-Kultur unbedingt dazu, wie steht es mit der Platzierung von Themen und Formen, mit den Hauptfeldern Wort und Musik?

Weiter: Taugt die gegenwärtige Struktur der regionalen und nationalen Programme, um in der sich rasant verändernden Medienlandschaft Kultur als produktiven Faktor zu realisieren?
Wie steht es mit den neuen medialen Formen, speziell im Internet, vom Podcasting bis zum Blogging:
Sind es nur andere Formen eines unveränderten Sende-Verständnisses, geht es nur um eine Erweiterung der Plattformen, oder sind tiefgreifende Veränderungen im Angebot notwendig, um den Forderungen des Staatsvertrages zu entsprechen?
Welche analogen und digitalen Strategien helfen, das Radio als Kulturvermittler – in jeglichem Sinn – zu bewahren, zu stärken, rückzugewinnen?
Wie steht es mit dem Verhältnis zum unbestimmten Publikum, wie sind Bring- und Holschuld auszutarieren?
Wie lässt sich Qualität beschreiben und bestimmen, wie einfordern?

All diese Fragen sind eng miteinander verbunden. Und einfache Antworten, das weiß jeder, sind nicht zu haben. Die Akademie der Künste will aber die notwendige Debatte mit aller Intensität führen und sich nicht um die Einsichten, Antworten, Forderungen drücken, die – im Allgemeinen und von Fall zu Fall – zu formulieren sind.
Deshalb diese Runde, deshalb diese Diskussion, die uns alle angeht, sofern wir Kultur im Radio und Radio als Kultur ernst nehmen.

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