Peter Sellars
Filme des New Crowned Hope-Projektes

Hanseatenweg
31.5./1.6.2008

Die Welt mit Leidenschaft denken und spüren – diese Erfahrung und Haltung des revolutionären Genies Mozart machte der amerikanische Regisseur Peter Sellars zum Ausgangspunkt für eines der ungewöhnlichsten Projekte in der Kinogeschichte.
Aus Anlass des 250. Geburtstags von Mozart und seines hierzu konzipierten Festivals „New Crowned Hope“ gab er jungen Filmemachern aus dem Tschad, dem iranischen Kurdistan, Paraguay, Indonesien, Südafrika, Taiwan und Malaysia die Möglichkeit, sich mit ihrer künstlerischen Kraft und Eigenart auf der Leinwand auszudrücken. Sie wurden produziert von den britischen Independent-Produzenten Keith Griffiths und Simon Field. Entstanden sind sieben herausragende Filme, die auf den Festivals in Cannes, Venedig, Toronto und Wien mit Begeisterung aufgenommen wurden. Sechs davon werden hier erstmals in Berlin gezeigt, eingeführt von Simon Field.
Unter dem Thema "Neue gekrönte Hoffnung" findet am 1.6. zum Abschluss ein Gespräch mit Peter Sellars, Simon Field und Ivan Nagel über Kunst und Kino, Aufbegehren und Utopie statt, Moderation Siegfried Zielinski.

„In der Mitte von allen hat die Sonne ihren Sitz... die Leuchte der Welt... der sichtbare Gott... der Allessehende.“ Kopernikus betitelte seine Erkenntnisse zur radikalen Veränderung unseres Weltbildes De Revolutionibus Orbium Coelestium, oft taucht der Traktat auch schlicht als de revolutionibus auf. Die Umwälzung (revolution), von der hier die Rede ist, bezog sich auch ursprünglich auf die Bewegungen der Planeten, von denen in unserem Sonnensystem Saturn, die kosmische Heimat der Melancholiker und Künstler, die längste und schwerste macht; fast 30 Jahre dauert ein Umlauf um die Sonne, allerdings bei hoher eigener Rotationsgeschwindigkeit des Planetenkörpers. Große Revolutionen brauchen Zeit und Ausdauer. Erst in der frühen Neuzeit, der Ära der kopernikanischen Wende, wurde der astronomische und astrologische Begriff auf das Politische übertragen.
Das Projekt, das Peter Sellars unter dem merkwürdigen freimaurerischen Titel New Crowned Hope für das Wiener Mozartjahr 2006 realisierte, hat keine kosmischen Dimensionen. Es ist indessen extraordinär im Maß, das es genommen hat, für die Kunst, zumal die des Kinos, wie auch für die politische und kulturelle Welt.
Zur gefährlichen Eitelkeit des noch immer kalten Nordens und Westens gehört es, die wichtigsten Umwälzungen in den Künsten für sich als Urheber zu beanspruchen. Dass es so etwas wie östliche und südliche Modernen gegeben haben könnte, fällt schwer zu denken. Mit Blick auf die zeitgenössische Szene hat sich da nicht viel geändert. Jenseits der europäischen und US-Avantgarden gibt es Exotisches, in seiner Einfachheit Überwältigendes, aber Fortgeschrittenes? Japan wird das vielleicht noch zugestanden, was die technischen Medien anbelangt, mit denen Kunst realisiert wird, in den letzten Jahren auch mehr und mehr China. Es ist schließlich nicht mehr zu übersehen, dass selbst die eigene heroische Kunstgeschichte durch diejenigen geplündert wird, die zum Beispiel das Radio schon wieder vergessen hatten, als es von Europäern und Amerikanern  als technisches Produkt eingeführt wurde.
Als Sellars zum künstlerischen Leiter des Festes zu Ehren des 250. Geburtstags Mozarts gekürt wurde, hat man damit gerechnet, dass er die Bühnen des Theaters und der Musik für die Kulturen anderer Regionen öffnet und sie nach Wien holt. Aber das Kino? Sellars  wollte in Wien Filme zeigen, die vom leidenschaftlichen und aufbegehrenden Geist Mozarts und seiner Musik geprägt sind, die aber nicht von denjenigen Regionen und Ländern handeln, in denen der Film längst als einflussreichste Kunst des 20. Jahrhunderts anerkannt worden ist. Solche Filmemacher sollten die Chance (und das Geld) für die Realisierung von Spielfilmen bekommen, die es im so genannten Weltkino schwer haben, deren Bilder in unseren Kinos nahezu unsichtbar und deren Stimmen nahezu unhörbar sind. Eine subversive Avantgarde im wahrsten Sinn des Wortes, als ein Gegenentwurf zur Allpräsenz der Supervision  des globalen Marktes.
Bei der Realisierung des Projekts verließ sich Sellars auf zwei der Besten der unabhängigen Filmszene, die zugleich das Weltkino hervorragend kennen und seit vielen Jahren mit begleiten: Simon Fields, ehemaliger Direktor des legendären Londoner ICA und des Rotterdam Filmfestivals, sowie Keith Griffiths, der Raul Ruiz ebenso produziert hat wie die Quay Brothers, Jan Svankmajer oder Chris Petit. – Es entstanden sieben Filme,  die bereits vor ihren Premieren in Wien Furore machten. Vier waren bereits für Venedig 2006 fertig und eroberten das Festival am Lido im Sturm. „Mozart-Guerilla“ betitelte Die Zeit ihren Bericht über den Auftritt der exzentrischen Filmavantgarde  um Peter Sellars. Das gesamte Power-Paket wurde dann auf den Wiener Festwochen bejubelt. Die Akademie der Künste zeigt es nun erstmals, mit der Ausnahme eines Films, vollständig in Berlin.
Zum krönenden Abschluss des Mini-Festivals am 1. Juni stellt sich der Erneuerer des Operntheaters mit seinem Projekt New Crowned Hope/Neue gekrönte Hoffnung dem Publikum zur Diskussion, zusammen mit Simon Field und dem Theater-Regisseur Ivan Nagel, moderiert von Siegfried Zielinski. Als Einstieg in diesen Abend wird der kurze Spielfilm „Sekalli Le Meogko / Meokgo and the Stickfighter“ von Teboho Mahlatsi aus Südafrika gezeigt. Der cineastisch umstrittene Film ist ein ton- und bild-magischer Exzess, der von unerwiderter Liebe, dem Opfer, der Brutalität, dem Trotz und der ungeheuren Schönheit Südafrikas  handelt.

Siegfried Zielinski