10.11.2017, 12 Uhr

Atomdämmerung – Zum 50. Todestag des Schriftstellers Gerd Semmer

Gedichtfassung von Gerd Semmer (Pseudonym Moritz Messer),
9. April 1955

Gerd Semmer, der am 12. November 1967 im Alter von nur 47 Jahren starb, gehörte zum dezidiert linken Flügel der bundesdeutschen Literatur. Seit Mitte der 1950er Jahre schrieb er mit Gedichten wie „Am 30. Mai ist der Weltuntergang“, „Überseemanns Los“, „Carte blanche – Generalvollmacht“ und „Atomgedicht 57“ gegen die Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik an. Er war von Anfang an mit seinen Liedern und Chansons Teil der westdeutschen Ostermarschbewegung der Atomwaffengegner, die im Anschluss an den ersten Protestmarsch Ostern 1958 im britischen Aldermaston entstanden war.
1961 gründete Gerd Semmer gemeinsam mit Dieter Süverkrüp, Arno Klönne und Frank Werkmeister in Dortmund den Verlag Pläne. Arno Klönne erinnerte sich: „Ohne seine Texte und ohne seine szenarischen Einfälle wären unsere frühen Ostermärsche kulturell stumm geblieben. Er sorgte dafür, daß sich mit unserer Zeitschrift ‚pläne‘ die Produktion von Schallplatten verband, wodurch das historische politische Chanson und die Widerstandslieder aus anderen Ländern in der westdeutschen Protestszene publik wurden.“

1964 formulierte Gerd Semmer in einem Vortrag in der Akademie der Künste der DDR: „Es geht darum, eine friedliche Welt aufzubauen, in der alle Menschen leben können und die uns nicht alle zwanzig Jahre um die Ohren fliegt.“ Das Anliegen ist aktueller denn je angesichts der Drohkulisse zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten. Geändert hat sich jedoch die Wertschätzung von Friedensbemühungen: Im Oktober 2017 erhielt die Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (ICAN) den Friedensnobelpreis, ein Bündnis von 450 Friedensgruppen. Diese hohe Anerkennung für Atomwaffengegner war während der Adenauer-Ära unvorstellbar.

Gerd Semmers zeitkritische Texte erschienen in Zeitungen und Zeitschriften, teils unter Pseudonym. Zu Buchausgaben kam es in der Bundesrepublik zu Lebzeiten nicht. Der Ostberliner Aufbau-Verlag gab zwei Bände mit Gedichten Gerd Semmers heraus: Die Engel sind müde. Verse und andere Prosa aus dem Schlaraffenland erschien 1959, darin sind die eingangs erwähnten Gedichte unter der Rubrik Atomdämmerung versammelt. 1965 folgte Widerworte. Gedichte und Chansons.

Erst ab 1959 lebte Gerd Semmer als freier Schriftsteller, nach einem äußerst wechselvollen Ausbildungs- und Berufsweg: Schneiderlehre, Meisterprüfung, spätes Abitur, Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Wien sowie der Romanistik. 1951/1952 war er in Marburg als Dolmetscher für Französisch tätig, 1952 als Regieassistent und wissenschaftlicher Berater bei Erwin Piscator in Marburg und Gießen. 1953 übersiedelte er nach Düsseldorf. Hier arbeitete er als Redakteur der satirischen Zeitschrift Der Deutsche Michel und der Deutschen Volkszeitung, ab 1957 bei der Wochenzeitung. Stimme des Friedens, die im März 1959 aus politischen Gründen verboten wurde. 1960 schrieb Gerd Semmer: „Zu den wirklichen Freuden eines Kulturredakteurs in der Wochenzeitung zählte ich die Entdeckung und Pflege junger Autoren.“ Er wurde wichtiger Mentor für Rolf Haufs, Inge Hertel, Walther Müller-Jentsch, Dirk Reissiger, Arno Reinfrank und Marion Rothaupt. 1961 würdigte Rolf Haufs seinen „Freund und Genosse[n] in Marxo“ mit einem Gedicht: Brief an Gerd Semmer. Das Gedichtmanuskript gehört zum Briefwechsel zwischen Gerd Semmer und Rolf Haufs im Gerd-Semmer-Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Bereits Anfang der 1970er Jahre gelangte der umfangreichste Teil des Nachlasses in das Literaturarchiv der Akademie der Künste der DDR. 2007 übergab die Tochter, Bettina Semmer, einen Nachtrag. Das Gerd-Semmer-Archiv ist vollständig erschlossen und steht der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Ansprechpartnerin: Christina Möller

Facebook-Seite für Gerd Semmer, eingerichtet von Bettina Semmer

Veranstaltung im Literaturforum anlässlich des 50. Todestages