1997

Astrid Klein

Astrid Klein thematisiert in ihren Arbeiten die vielfältigen Beziehungen von Bild und Text. In experimentellen Fotocollagen, wie beispielsweise den Cuts, nutzt sie fotografische Methoden, um die Wirklichkeitsebenen von Abbild und Reproduktion zu hinterfragen. Aus einer deutlich feministischen Position heraus bearbeitet die Künstlerin die großen Themen – Sex, Gewalt und Tod – und hält Antworten in ambivalenter Schwebe, was sich auch in den teils kryptischen Wortkombinationen ihrer Werktitel widerspiegelt. Das Werk der Künstlerin umfasst Zeichnungen, Malerei, skulpturale Elemente (Spiegel), fotografische Readymades, Textfragmente und eigene Texte.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Astrid Klein hat in der konsequenten Entwicklung ihrer Arbeit seit nunmehr fast zwanzig Jahren über die Befragung hinaus auch das spezifische Erkennen der Wirklichkeit mit den Mitteln der Fotografie in Frage gestellt.“ (Auszug Begründung)

Das Medium der Fotografie ist in seiner künstlerischen Entwicklung und Handhabung schon seit langem aus der klassischen Aufgabenstellung einer dokumentierenden oder auch interpretierenden Abbildung der Wirklichkeit entlassen worden, die sie so eng mit der bildenden Kunst verband und sie zugleich von ihr abgrenzte. Längst ist die Fotografie als autonome Kunstform zu einem Instrument spezieller Wirklichkeitsbefragung geworden, die unseren Umgang mit der Realität und unsere trügerischen Methoden der Wahrnehmung thematisiert.

Astrid Klein hat in der konsequenten Entwicklung ihrer Arbeit seit nunmehr fast zwanzig Jahren über die Befragung hinaus auch das spezifische Erkennen der Wirklichkeit mit den Mitteln der Fotografie in Frage gestellt. In ihren neueren Bildern hat sie darüber hinaus Eingriffe inszeniert, die die fotografischen Methoden, die Wirklichkeitsebenen des Abbilds und die Authentizität der Reproduktion wie in einer prozessualen Collage ineinander verschränken. Dadurch wird das Bild scharf von der äußeren Welt getrennt und tritt ihr völlig eigenständig gegenüber. Doch in den Bildern sind Fallen enthalten: Trotz ihres dokumentarischen Charakters erfahren wir nichts über den Zusammenhang, dem sie entnommen sind. Dennoch entfalten sie einen solch suggestiven Wirklichkeitssog, dass der Betrachter den Bildern fast unmerklich (s)eine (eigene) Geschichte gibt. So entsteht ein ganz eigenes Wirklichkeitsbild, das uns weder dokumentarisch vorgezeigt wird noch von der Künstlerin interpretiert ist.

Astrid Klein formuliert in ihren Arbeiten eine Konstellation von Fragmenten der reproduzierten Wirklichkeit und ausschnitthaften Setzungen, die sich in der Kombination durch ihre konzeptuelle Hermetik verschließen, nichts über die Wirklichkeit und keinerlei Geschichte erzählen, gleichsam abstrakt werden und den Betrachter auf sich selbst zurückverweisen. 

Jörn Merkert

Zur Jury zählten: Jörn Merkert, Klaus Staeck und Rolf Szymanski

Laudatio (Transkription des Tonmitschnitts), vorgetragen von Jörn Merkert anlässlich der Preisverleihung am 16. März 1997:

Die Begründung für die Zuerkennung des Käthe-Kollwitz-Preises 1997 an Astrid Klein durch die Jury, zu der die Akademie-Mitglieder Klaus Staeck, Rolf Szymanski und ich gehörten, begann ich mit einem kleinen Exkurs: Das Medium der Fotografie ist in seiner künstlerischen Entwicklung und Handhabung schon seit Langem aus der klassischen Aufgabenstellung einer dokumentierenden oder auch interpretierenden Abbildung der Wirklichkeit entlassen worden, die sie so eng mit der bildenden Kunst verband und sie zugleich von ihr abgrenzte. Genau an diesem Punkt setzte Astrid Klein vor mehr als 15 Jahren mit ihrer Arbeit ein und es ist alles andere als zufällig, dass 1984 zur Einzelausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart „Utopien denunzieren“ im Katalog ein Text die Überschrift „Astrid Kleins ‚Fotoarbeiten’“, eben diesen Begriff Fotoarbeiten mit Anführungszeichen versah. Denn ihre Arbeiten gehörten schon damals nicht mehr zur bildenden Kunst, entsprachen aber auch so gar nicht dem, was womöglich bis heute viele noch mit Fotografie verbinden. Dass dieses Medium etwas mit der dokumentierenden Abbildung von Wirklichkeit zu tun hätte. Hat sie ja auch: In den Medien, den Zeitungen, Zeitschriften, dem Fernsehen. Hat sie? Hat die wirklichkeitsabbildende Fotografie tatsächlich noch authentisch etwas mit der Realität zu tun? Sind wir nicht alle schon viel zu oft auch durch gerade solche Bilder getäuscht worden, die Echtheit vorspiegeln? Und haben die Bilder in vielen Bereichen nicht längst schon eine eigene Wirklichkeit gewonnen? In der künstlerischen Fotografie – eigentlich sollte es längst überflüssig geworden sein zur besseren Unterscheidung innerhalb dieser Begriffswelt das Epitheton künstlerisch noch ausdrücklich hinzuzufügen, aber es erscheint mir immer noch notwendig – in der Fotografie also, waren die Künstler früh darauf aus, deren ganz eigene, unverwechselbare ästhetische Qualitäten und Ausdrucksmöglichkeiten zu erkunden. Zwingend ging damit eine grundlegende Befragung dieses Mediums einher. Und weil dieses Medium auf den ersten Blick vorspiegelt, Wirklichkeit aus größter Nähe ins Bild setzen zu können, ist es auch von jeweils größerer Zeitgenossenschaft und scheinbar mehr mit Realität gefüllt als die klassischen künstlerischen Medien. Vor allem aber deswegen, weil die Fotografie vordergründig so sehr an den Augenblick, an die Gegenwart also gebunden scheint, hat die Befragung dieses Mediums durch die Künstler nie aufgehört, ob sie denn noch der Realität entspräche.

Und so ist die Fotografie als autonome Kunstform längst zu einem Instrument spezieller Wirklichkeitsbefragung geworden, die nicht mehr allein die Wirklichkeit zum Thema hat, sondern unseren Umgang mit der Realität und unsere trügerischen Methoden der Wahrnehmung untersucht. Astrid Klein hat dann auch in der konsequenten Entwicklung ihrer Arbeit seit nunmehr fast 20 Jahren über die Befragung hinaus auch das spezifische Erkennen der Wirklichkeit mit den Mitteln der Fotografie in Frage gestellt. In ihren neueren Bildern hat Astrid Klein bisweilen Eingriffe inszeniert, in denen gleichermaßen die fotografischen Methoden, die Wirklichkeitsebenen des Abbilds und die Authentizität der Reproduktion wie in einer prozessualen Collage ineinander verschränkt sind. Dadurch wird das Bild scharf von der äußeren Wirklichkeit getrennt und tritt ihr völlig eigenständig gegenüber. Dennoch ist das Bild, das als Abbild einherkommt, bei Astrid Klein kein Spiegel der Wirklichkeit mehr wie sie uns sonst mit ihren Dingen, Menschen, Situationen entgegenkommt. Nein, in diesen Bildern verfängt sich eine ganz andere Wirklichkeitssicht: Nämlich der Blick darauf, was wir – auch mit Bildern – aus der Wirklichkeit machen, damit wir uns in ihr noch zurechtfinden. Aber sie zeigt uns gleichzeitig vor, welche Bilder sich unsere Gesellschaft von der Wirklichkeit manchmal unmerklich einrichtet, damit wir nur ja keine Chance haben, anders denn als Manipulierte mit der Wirklichkeit umzugehen.
Deswegen sind in den Bildern von Astrid Klein meiner Meinung nach häufig Fallen enthalten. Trotz ihres dokumentarischen Charakters erfahren wir sehr oft nichts über den Zusammenhang, dem sie entnommen sind. Dennoch und genau deswegen entfalten sie einen solch suggestiven Wirklichkeitssog, dass der Betrachter den Bildern fast unmerklich eine Geschichte gibt, seine eigene Geschichte gibt. So entsteht ein ganz unabhängiges Wirklichkeitsbild, das uns weder dokumentarisch vorgezeigt wird, noch von der Künstlerin interpretiert ist. Denn die Fotografien bilden nichts ab, was sich uns selbstverständlich als ein Dokument unserer Alltagswelt erschließen ließe, und doch treten sie so auf, als ob sie genau dies täten. So sind wir verführt, uns die Geschichte dazu auszudenken, um die vorgebliche Authentizität zu retten, so schaffen wir uns unser eignes Trugbild, das uns sogleich, wenn wir es als solches erkennen, sagt, dass wir uns selbst betrogen haben.

Astrid Klein formuliert in ihren Arbeiten eine Konstellation von Fragmenten der reproduzierten Wirklichkeit und von ausschnitthaften Setzungen, die sich in der Kombination durch eine konzeptuelle Hermetik verschließen, unzugänglich bleiben und letztlich in aller unterkühlten Nüchternheit und Sachlichkeit eine nahezu magische Aura entfalten, weil sie sich ins Geheimnis kleiden. Nichts wird uns über die Wirklichkeit und sowieso keinerlei Geschichte erzählt. Weil einige dieser Arbeiten auf den ersten Blick jeden nachvollziehbaren Inhalts beraubt zu sein scheinen, werden sie gleichsam abstrakt und verweisen den Betrachter auf sich selbst zurück. Hineingezogen in das Kunstwerk, wird er mit sich allein gelassen, wir sind unausweichlich auf uns selbst angewiesen in diesem Labyrinth der Wirklichkeit. Und das ist die Realität, auch wenn uns Astrid Klein gerade davon kein Abbild liefert.

Herzlichen Glückwunsch, werte Astrid Klein, und Ihnen meine Damen und Herren, danke für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.