7.1.2016, 10 Uhr

Abschied von Pierre Boulez

Pierre Boulez, eine der herausragendsten Persönlichkeiten der musikalischen Avantgarde, ist am 5. Januar 2016 verstorben. Sein Wirken für die Musik ist ohne Vergleich. Mehr als ein halbes Jahrhundert war er rastlos und begeisternd für innovative Ideen tätig, rebellierte immer wieder gegen den eingeschliffenen Kunstbetrieb, gegen Mediokrität und Routine, gegen alles Gefällige, setzte sich mit staunenswerter Energie für Mutiges und Neues ein, deutlich und messerscharf in seinem Denken, praktisch und ergebnisorientiert in seinem Handeln – ein Ausnahme-Künstler, den die Leidenschaft für die Musik antrieb und in Atem hielt.
 
Als Komponist, Dirigent, Pianist, Theoretiker, Lehrer und Orchesterpädagoge, Gründer von Einrichtungen, Ensembles und Institutionen hat er die Musikentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in unvergleichlicher Weise mitbestimmt. Mit seiner Person stand er für einen unkompromittierbaren, rigorosen und doch äußerst eleganten Musikbegriff, der musikalische Intelligenz und wissenschaftliche Forschung miteinander verband.
 
Multipel wie seine Begabung war auch sein Tun. Anfang der 1950er Jahre initiierte er in Paris die Konzertreihe und das Ensemble der Domaine Musical, rief er das IRCAM, das Institut de Recherche et de Coordination Acoustique Musique, ins Leben, war musikalischer Leiter herausragender internationaler Orchester, gründete das Ensemble Intercontemporain, hielt Vorträge und Lectures weltweit und war über viele Jahre die zentrale Gestalt der Lucerne Festival Academy, um nur einige seiner Wirkungsfelder zu nennen. Seit 1963 war er Mitglied der Akademie der Künste.

Sein kompositorisches Werk bildet einen vielfach in sich verschränkten Korpus, deren Teile er immer wieder Revisionen unterwarf. Ganze Stücke oder Elemente daraus arbeitete er zu Varianten um, nutzte neu entwickelte Technologien, wie etwa in „Répons“, einem seiner Hauptwerke, die seine kompositorische Fantasie beflügelten. Antiromantisch und abstrakt, anfangs bis ins Extrem, ist sein Schaffen von starken konstruktiven Energien beherrscht. Mit dem Abstand der Jahre jedoch entdecken Interpreten zunehmend virtuos-musikantische Ansätze in seiner Musik und entfalten ihre reichhaltig differenzierte Klangsprache.
 
Mit Pierre Boulez verlieren wir eine der zentralen Künstler-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die in unvergleichlicher Weise die Geschicke der Neuen Musik mitbestimmt hat. Als Mittler zwischen kompositorischem und wissenschaftlichem Denken hat er die Kunst weit über seine Zeit hinaus beflügelt.
 
Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Akademie der Künste
Manos Tsangaris, Direktor der Sektion Musik
Enno Poppe, Stellvertretender Direktor der Sektion Musik