6.10.2021, 15 Uhr

Krise als Chance – kalligrafische Interpretationen in Zeiten der Pandemie

Anja Lüdtke, Chance, 2020, Mixed Media on paper

Benno Aumann, Krise als Chance, 2020, Mixed Media on paper

Frank Fath, Krise - Chance, 2020, Mixed Media on paper

Andrea Wunderlich, Gefahr und Chance, 2020, Mixed Media on paper

Ist die Aufforderung, die Krise als Chance zu begreifen, mehr als nur ein Gemeinplatz? Zumindest schriftlich lässt sich die Ambivalenz des Begriffes fassen. Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Teilen: Gefahr und Gelegenheit. Auch das aus dem Griechischen stammende Wort krísis (Wende- und Höhepunkt eines gefährlichen Konfliktes) birgt die Doppeldeutigkeit in sich.

Anlässlich des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wurden vier Kalligraf*innen, die mit Werken in der Berliner Sammlung Kalligrafie der Akademie der Künste vertreten sind, eingeladen, den Begriff auf ihre Weise zu interpretieren. Herausgekommen sind sehr unterschiedliche grafische Zugänge, die das Doppeldeutige aufgreifen und das Ornamentale des Schriftzeichens mit der aktuellen Corona-Krise in Beziehung setzen. In kurzen Statements erläutern die Kalligraf*innen zudem auf anschauliche Weise ihre Herangehensweise an das Thema.

 

„Ich fand die Idee mit dem chinesischen Zeichen ‚Krise‘, das aus den Zeichen ‚Gefahr‘ und ‚Chance‘ gebildet wird, sehr anregend. Da ich den Eindruck hatte, dass in Europa der Blick mehr dem des Kaninchens vor der Schlange ähnelte und man nur die Gefahr zu sehen schien, dachte ich daran, das Zeichen teilweise zu zerstören und neu anzuordnen, ohne dabei die ‚Lesbarkeit‘, d.h. das Wiedererkennen aufzugeben. Mein Text entstand daraus zwangsläufig. […] Der kürzlich 80 Jahre alt gewordene Jazzgigant Herbie Hancock schrieb am Ende seiner Autobiografie: „Ich kann kaum erwarten, was der nächste Morgen bringen wird.“ Das erinnerte mich an ein Sprichwort aus der Wüste. „Es bringt Glück, im Sturm aufzubrechen“, den zweiten Teil meines Textes. Die Form der Buchstaben leitete ich aus der Form der allgegenwärtigen exponentiellen Kurven ab, die Anordnung des Textes diagonal von links unten nach rechts oben als positives Zeichen und die Farbe: Grün steht für Hoffnung und Rot für Gefahr – ganz banal.“

Benno Aumann

 

„Der Begriff der Krisis ist für mich eng verbunden mit einer Szene aus Väter und Söhne von Turgenjew. Dort ringt der Sohn Basarow im Hause seines Vaters um Leben und Tod. Der Vater, selbst Arzt, klammert sich an die Krisis in der Hoffnung auf dann beginnende Besserung. Der Wandel ist selbstverständlich. In der Krisis, die schwer und ungreifbar, diffus eine Änderung gebären wird. Und was daraus eventuell Gutes entsteht, ist nicht unmittelbar klar.“

Frank Fath

 

„Die Bedeutung des zweiteiligen chinesischen Zeichens für Krise beinhaltet sowohl Gefahr, als auch Gelegenheit. Hieraus entsteht im besten Falle eine Chance. Die drei Elemente der Gleichung: Gefahr + Gelegenheit = Chance wollte ich grafisch zueinander in Beziehung setzen. Das Wort ‚Chance‘ weist beim Durchlaufen und Durchdringen der Gefahr einen Weg aus der Krise. Die Gelegenheit ist die Zutat, ohne die der Prozess schwer möglich wäre.“

Anja Lüdtke

 

„… Und weil Schwarz und Weiß und Grau nicht genügen, weil ‚Gefahr‘ und ‚Chance‘ aus sich selbst heraus schon so viele Möglichkeiten für Neues bieten, eine farbige Version. Das schwere, schwarze Ornament farbig und kontrastreich gefüllt und diese Farbe fließt auch in ‚Chance‘, die sich ausbreitet. ‚Gefahr‘ tritt grau in den Hintergrund und ist dort auch nicht mehr lesbar.“

Andrea Wunderlich

 

Ansprechpartnerin: Susanne Nagel, Bibliothek