13.11.2023, 13 Uhr

Rede von Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Akademie der Künste, in der Plenartagung der 61. Mitgliederversammlung am 10. November 2023 in Berlin

Liebe Mitglieder der Akademie der Künste,

ich möchte Ihnen meine Gedanken in dieser schweren Zeit mitteilen:
Nach dem 7. Oktober, nach dem Pogrom der Hamas gegen Israel, ist unsere Welt eine andere.
Die Fakten kennen Sie alle: Die islamistische Terrororganisation Hamas hat bei einem brutalen Angriff am 7. Oktober mindestens 1.300 Israelis getötet und mehr als 3.300 verwundet, Frauen vergewaltigt, Menschen verschleppt. Im Gazastreifen sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 11.000 Palästinenser von der israelischen Armee getötet worden. Frauen, Kinder... Die Hamas halten mehr als 242 Kinder, Frauen, Alte, und ausländische Staatsangehörige als Geiseln fest.
Israel hat der Hamas den Krieg erklärt, nachdem im Land zehn Monate lang die schwerste innenpolitische und soziale Krise seit Jahrzehnten herrschte, die auf den Justizputsch der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zurückzuführen ist - eine Gesetzgebung, die darauf abzielt, die israelische Justiz drastisch zu schwächen und Netanjahu möglicherweise vor den drei Korruptionsprozessen zu retten, die gegen ihn laufen. Der Krieg findet statt inmitten einer Eskalation der Gewalt zwischen Palästinensern im Westjordanland und israelischen Siedlern. Letztere werden von Israels Regierung gestärkt.

Schnitt zu Deutschland: Gestern war der 9. November. Wir alle wissen, an diesem Tag jährt sich die Ausrufung der Weimarer Republik 1918, der Mauerfall 1989, aber vor allem: der Beginn der Novemberpogrome des NS-Regimes gegen die jüdischen Mitbürger*innen in Deutschland 1938. 85 Jahre ist das her.

Der Antisemitismus hat sich in Deutschland über die Jahrzehnte erhalten. Überwunden war er wohl nie. Es ist nicht hinnehmbar, dass Juden heute in Deutschland wieder Angst haben, sich öffentlich zu zeigen. Es ist nicht hinnehmbar, dass ihre Wohnungen heute in Deutschland wieder mit einem Davidstern gekennzeichnet werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass die brutalen Attacken der Hamas auf Israel in Deutschland auf offener Straßen bejubelt werden. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober gibt es hierzulande eine Welle antisemitischer Gewalt. Juden werden beschimpft und bespuckt, ihre Wohnungstüren werden mit Parolen beschmiert. Allein in Berlin hat die Polizei 852 Straftaten registriert, die sie als Reaktion auf den Nahostkonflikt einstuft. Berlin. Die Stadt, von der aus Hitler regierte.

Die Akademie der Künste hat bereits am 9. Oktober 2023 in einer Presseerklärung öffentlich Stellung bezogen:

„Die Akademie der Künste verurteilt den Angriffskrieg der Hamas gegen Israel.
Wir erinnern heute an den Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019.
Der Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland muss insbesondere in diesen Tagen gewährleistet sein – die Akademie der Künste tritt für ein Verbot jeglicher Unterstützung der Hamas in Deutschland ein.“

Ein Monat ist seitdem vergangen. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat eine Gewaltspirale in Gang gesetzt. In Israel und im Gazastreifen gibt es unzählige Todesopfer.

Die öffentlichen Reaktionen aus dem Kulturbereich sind – so es sie gibt – zunächst enttäuschend. Eine Ausnahme war die gemeinsame Erklärung des Deutschen Historischen Museums und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am 13. Oktober. Aber erst vorgestern haben die Berliner Philharmoniker, die Opernhäuser und Orchester einen Aufruf gegen Antisemitismus und Hass publiziert. Gestern erschien ein Offener Brief von 250 deutschen Filmschaffenden – einige Mitglieder aus der Sektion Film- und Medienkunst haben ihn unterzeichnet.

Die Bundesregierung hat sich klar positioniert. Einer hat besonders klare Worte gefunden, es ist Vizekanzler Robert Habeck. Ich zitiere ihn:

„Der Satz ‚Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson‘ war nie eine Leerformel und darf auch keine werden... Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung. (…)
Es braucht jetzt Klarheit und kein Vermischen. Und zur Klarheit gehört: Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren. (…) Antikolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen. Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente überprüfen und der großen Widerstandserzählung misstrauen. (…) Die Hamas ist eine mordende Terrorgruppe, die für die Auslöschung des Staates Israels und den Tod aller Juden kämpft. (…) Der Tod und das Leid, das jetzt über die Menschen im Gazastreifen kommt, sind schlimm… Systematische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aber kann damit dennoch nicht legitimiert werden.“

Er sagte weiter:

„Zur Differenzierung gehört, dass die Mordtaten der Hamas Frieden verhindern wollen. Die Hamas will nicht die Aussöhnung mit Israel, sondern die Auslöschung von Israel. Und deshalb gilt unverrückbar: das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden. Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.“

Auch eine Künstlerin, Akademie-Mitglied Hito Steyerl, meldete sich zu Wort. Der Auslöser war ein Brief, der auf mehreren einflussreichen Plattformen – unter anderem auf der Website des US-Magazins Artforum – veröffentlicht wurde. Tausende aus der Kunstwelt haben ihn unterzeichnet. Er handelte zunächst ausschließlich vom Leid in Gaza, ein „eskalierender Völkermord“ wurde beklagt. Erst in einem „Update“ von vorletzter Woche (am 23. Oktober) wurde das von der Hamas verübte Massaker des 7. Oktober erwähnt.

Hito Steyerl kritisiert diesen Brief nach wie vor, und hat stattdessen einen Gegenbrief aus Israel unterschrieben. In diesem heißt es:

„Es sollte keinen Widerspruch geben zwischen der entschiedenen Ablehnung der israelischen Besatzung und der humanitären Krise in Gaza sowie der unmissverständlichen Verurteilung brutaler Gewaltakte gegen unschuldige Zivilisten in Israel.“

Hito Steyerl sagte in einem Interview mit dem Spiegel:

„Momentan gibt es eine Kunstmarktposition, eine progressiv-universalistische Strömung und eine identitäre Pseudo-Linke. Von denen halten einige die Hamas für eine dekoloniale Befreiungsbewegung. Genau wie Erdoğan. Viele oppositionelle Israelis haben selbst gegen die israelische Regierung protestiert, das wird oft schon wieder vergessen... Sie kritisieren unter anderem den dortigen Demokratieabbau, und das völlig zu Recht. Doch für einige Menschen in der Kunstwelt, die jetzt gegen Israel Partei ergreifen, spielen sehr wohl antisemitische Motive eine Rolle. Ich würde sagen, es ist noch immer eine sehr kleine Minderheit, aber mit großem Einfluss.“

Vergessen Sie nicht: wir sind konstant unter Beschuss der Medien. In Gaza finden große Zerstörungen und Tötungen statt, von denen auch Palästinenser betroffen sind, die nicht in der Lage waren oder keine Zeit hatten, die umkämpften Gebiete im Nordstreifen zu verlassen. Die Bilder dieser Zerstörung schwächen wiederum die internationale Unterstützung für Israel, trotz der Erinnerung an die von der Hamas am 7. Oktober verübten Gräueltaten. Die Welt im Internet ist ebenfalls ein Schlachtfeld. Sie ist ein Schlachtfeld ohne Grenzen und ohne Schutz – da ist es leicht, Angst zu verbreiten. Die grausamen Videos, die die Hamas aufgenommen hat am 7. Oktober, sind auch Waffen, die Angst und Terror verbreiten sollen.

Zum Schluss möchte ich einen israelischen Menschenrechtsanwalt, Michael Sfard, zitieren, der sich vor wenigen Tagen in der Zeitung Haaretz äußerte:

„Menschlich zu sein ist harte Arbeit. Angesichts unmenschlicher Grausamkeiten menschlich zu bleiben, ist noch viel schwieriger. Anders als wir oft denken, ist Menschlichkeit keine natürliche menschliche Eigenschaft. Viel natürlicher ist der Wunsch, sich zu rächen, die Schuld auf die andere Seite zu schieben, Tausende von Bomben auf sie zu werfen, sie vom Angesicht der Erde zu tilgen. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen, und offenbar haben wir nichts daraus gelernt. Wir leben in schrecklichen Zeiten. Wir haben ein schreckliches Trauma erlebt, das von Menschen verübt wurde, die ihre Menschlichkeit verloren haben, und jetzt bombardieren wir, töten und lassen Menschen verhungern und versteinern vor allem unsere Herzen. Die moralische Korruption ist für unser Überleben nicht weniger gefährlich als die Hamas.“