7.11.2013, 10 Uhr

„ … mit diesen grauen und roten J-Stempeln fing es an“

Dokumente aus dem Peter-Edel-Archiv

Ausschließungsschein, 17.6.1940

Im Rahmen des Berliner Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ wird der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 gedacht sowie der Novemberpogrome 1938. Auch die Akademie der Künste hat mit Veranstaltungen zur Erinnerung an diejenigen beigetragen, die vertrieben, verhaftet, ermordet wurden. In zahlreichen Beständen des Akademiearchivs finden sich Spuren von Ausgrenzung, von Verfolgung, vom schwierigen Leben im Exil oder – so im Falle Peter Edels – Dokumente des jeden Tag aufs neue bedrohten Lebens in nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

„… vom Dasein der Verlorenen ist nichts in eine Sprache zu übertragen, die draußen jemand verstünde“ – so schrieb H. G. Adler, ein Überlebender der NS-Lager wie Peter Edel. Und wie Adler hat auch Edel nach der Befreiung immer wieder das Unmögliche versucht: seine Erfahrungen mitzuteilen, in Texten und Bildern. Peter Edel, geboren als Hans-Peter Hirschweh 1921 in Berlin, starb im Frühjahr 1983. Kurz danach kam sein Nachlass in das Archiv der Akademie der Künste der DDR. Erst nach dem Tod seiner Witwe Helga Korff-Edel 2011 gelangte auf ihren Wunsch ein umfangreiches Konvolut von bildkünstlerischen Arbeiten, Dokumenten und Briefen aus der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit ins Archiv, das Schlaglichter auf Peter Edels Leben in diesen Jahren wirft, stellvertretend auch für all jene, von denen keine Dokumente mehr zeugen.

Peter Edel, Enkel des Plakatkünstlers Edmund Edel, wuchs als Einzelkind in einer wohlsituierten Familie auf. Den Besuch des Gymnasiums musste er als sogenannter „Geltungsjude“ abbrechen – sein Vater war jüdisch, die Mutter katholische „Arierin“, er selbst gehörte der jüdischen Gemeinde an. Edel nahm Grafikunterricht an verschiedenen Privatschulen, seine Lehrer waren u.a. Fritz August Breuhaus und Otto Arpke. 1938 musste er auch diese Ausbildung abbrechen. Die Familie plante, nach Großbritannien zu emigrieren. Im Herbst 1939 verhinderte jedoch der Kriegsbeginn dieses Vorhaben. Peter Edels Eltern Margarete und Erich Hirschweh ließen sich Anfang 1940 scheiden, damit seine Mutter als selbständige Schneiderin den Lebensunterhalt für die Familie verdienen konnte. Erich Hirschweh wurde im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, im Oktober 1944 nach Auschwitz und dort ermordet.
 
Peter Edel musste vom November 1941 an Zwangsarbeit bei Siemens & Halske leisten. Im Zuge der „Fabrikaktion“, der Verhaftung und Deportation fast aller noch in Berlin verbliebenen jüdischen Zwangsarbeiter Ende Februar 1943, wurde er festgenommen, jedoch zunächst wieder freigelassen. Seine Frau Lilo Reichmann, die er im August 1941 geheiratet hatte, entging der Deportation nicht und wurde in Auschwitz-Birkenau ermordet. Peter Edel wurde am 2. Juli 1943 erneut verhaftet und nach Verhören bei der Gestapo im „Arbeitserziehungslager“ Großbeeren interniert, nach einem Aufenthalt im Transportgefängnis Moabit dann im November 1943 nach Auschwitz deportiert. Von dort brachte man ihn Ende Januar / Anfang Februar 1944 in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin. Aufgrund seiner Ausbildung als Grafiker wurde er der „Operation Bernhard“ zugewiesen, einer in Block 19 dieses Lagers streng geheim und abgeschirmt arbeitenden Gruppe von Häftlingen, die v.a. gefälschte Banknoten und Ausweispapiere herstellen mussten. Anfang 1945 wurden diese Häftlinge sowie sämtliche Materialien und Druckmaschinen nach Österreich ins Konzentrationslager Mauthausen verlagert. Am 5. Mai 1945 erlebte Peter Edel die Befreiung aus dem Mauthausener Außenlager Ebensee: „Um die Mittagszeit des 5. Mai 1945 rollten die ersten amerikanischen Panzer in das Lager des Grauens. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Verhungerte und leibhaftige Skelette rannten weinend und schreiend auf die Panzerwagen zu.“ – so Peter Edel in seinem Bericht über den „Block 19“ 1947 in der „Weltbühne“.

Im Archiv liegen zu all diesen Lebensstationen Unterlagen vor: zur verordneten Namensergänzung „Israel“, zur Ausschließung aus Reichswehr und Reichsarbeitsdienst, zur geplanten Emigration der Eltern und zur Heirat mit Lilo Reichmann; Briefe aus dem Lager Großbeeren, den Konzentrationslagern Auschwitz und Sachsenhausen an die Mutter Margarete Edel, Zeichnungen aus den Konzentrationslagern.

Doch auch die Zeit nach 1945 ist umfassend dokumentiert: „Heute am 6. Mai 1945 wurde ich neu geboren. Und ich verließ die Hölle, mit meinen Kameraden im gestreifen Zebrakleid, und ging freiheitstrunken die Straße entlang, die durch das Dorf Ebensee nach Bad Ischl führt“. So schrieb Peter Edel genau ein Jahr nach der Befreiung und in Erinnerung daran an seine Mutter in Berlin. Der Weg zurück ins Leben begann wieder mit Papieren: die ersten Ausweise vom 7. und 8. Mai 1945 geben Peter Edel Bewegungsfreiheit in Bad Ischl, sie dokumentieren, wie für den entlassenen Häftling Kleidung und Verpflegung organisiert wurde. „Nach drei Wochen Freiheit“ steht auf der Rückseite eines Passbildes, des ersten wieder in gutem Anzug, das er später seiner Mutter schickte. Und natürlich versuchte Peter Edel, mit seiner Mutter Margarete in Berlin Kontakt aufzunehmen – der letzte Brief, den er ihr aus Sachsenhausen schreiben konnte, datiert vom 21. Januar 1945. Über das Rote Kreuz gelang die Kontaktaufnahme, und bis zu Peter Edels Rückkehr nach Berlin Ende 1947 wurden viele Briefe gewechselt. Die der Mutter sind bis auf wenige Ausnahmen nicht erhalten, die des Sohnes jedoch fast vollständig. Sie zeichnen ein umfassendes Bild seines Versuchs, nach dem überstandenen Grauen wieder ein „normales“ Leben zu führen: Er erzählt von seiner erneuten Heirat und dem gemeinsamen Leben mit seiner Frau Ellen (die Ehe wurde 1948 geschieden), von der Ausstattung der Wohnung, von Kinobesuchen ebenso wie von seiner Arbeit, in die er sich sofort stürzt: Zeichnungen, Radierungen, Gemälde, über deren Erfolg und Verkaufserlös er glücklich berichtet, die Organisation einer Kunstausstellung.

Aber Peter Edel bleibt nun nicht bei der bildenden Kunst: Er schreibt Artikel, die er auch seiner Mutter nach Berlin schickt. Sie bietet sie – auch mit Erfolg – u.a. dem „Telegraf“ und später der „Weltbühne“ an. Peter Edels erster Roman „Schwester der Nacht“ erschien 1947 in Wien. Er thematisiert die Zeit der Zwangsarbeit, Gestapo- und Lagerhaft. Edel berichtet seiner Mutter ausführlich nicht nur über die positiven Rezensionen, die das Buch erfährt, sondern auch über seine künstlerischen Pläne, die Verarbeitung eigener Erfahrung in Fiktion. Auseinandersetzungen gibt es immer wieder um einen Bruder seiner Mutter, der Nationalsozialist und SA-Mann gewesen war. Peter Edel registriert sehr sensibel auch antisemitische Vorfälle in Österreich und in den (west-)deutschen Besatzungszonen: „Mit Entsetzen las ich gestern wieder von den pogromartigen Exzessen gegen Juden in Wiesbaden, wo man wieder einmal ‚spontan’ den jüdischen Friedhof geschändet hat und die Grabsteine umwarf. Mit Scham und Wut musste ich vor einigen Tagen im Radio vernehmen, dass man Plakate in München befestigt hat, des Inhalts ‚Hängt die KZler auf’. […] Mit tiefem Misstrauen und unsagbarer Verbitterung kehre ich nach Deutschland zurück, auch das musst und sollst Du wissen.“ (17.7.1947) Und nach zwei Jahren rastloser Aktivität, kurz nach einer überstandenen Krankheit, stellt Peter Edel fest: „Jede Kleinigkeit regt mich immer sehr auf und meine Nerven sind total zermürbt. Jetzt erst macht sich das K. Z. bemerkbar. Zu allem Überfluß waren hier in der letzten [Woche] sehr viele judenfeindliche Kundgebungen vor dem Judencamp Goldenes Kreuz.“ (24.8.1947) Erst im Herbst 1947 gelang es Peter Edel, nach Berlin zurückzukehren. Er wurde Mitarbeiter der „Weltbühne“, später der „B.Z. am Abend“. Er entschied sich, in der DDR zu leben, trat der SED bei. Die Bundesrepublik war für ihn charakterisiert als der Teil Deutschlands, in dem Nationalsozialisten wieder zu Amt und Würden kamen, versinnbildlicht durch den Leiter des Bundeskanzleramts unter Konrad Adenauer, Hans Globke. Peter Edels literarische Arbeit blieb – wie sein ganzes späteres Leben – immer geprägt durch die Erfahrungen während des Nationalsozialismus, sowohl in seinem Roman „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (1969), der 1972 vom Fernsehen der DDR aufwendig verfilmt wurde, als auch in der Autobiographie „Wenn es ans Leben geht. Meine Geschichte“ (1979), in der er u.a. die Zeit im Konzentrationslager Sachenhausen ausführlich darstellt.


Abbildungen: Akademie der Künste, Berlin, Peter-Edel-Archiv. Mit freundlicher Genehmigung durch Frau Jutta Niefeldt, der für ihre Unterstützung herzlich gedankt sei.

- Ausweis, Bad Ischl, 7.5.1945, Vorderseite, Nr. 1001


- Ausweis, Bad Ischl 8.5.1945, Vorder- und Rückseite, Nr. 1002. Mit Vermerk über Aufnahme in die Volksküche auf der Vorderseite und über vorherige Verpflegung im Kurhaus sowie Ausgabe von Bekleidung („1 Hemd, 1 Unterhose, 2 P. Socken“) auf der Rückseite

- Passbild Peter Edel, [Mai 1945], Nr. 1000. Auf der Rückseite die Bemerkung: „nach 3 Wochen Freiheit“

- Rotkreuzbrief mit Zensurstempeln, Peter Edel an Margarete Edel, 21.9.1945 und auf der Rückseite Antwort von Margarete Edel, 25.3.1946, Nr. 999.

- Werbekarte für die Kunstausstellung ehemaliger politischer Schutzhäftlinge, Bad Ischl, [etwa 1945], Nr. 1003


- Mehrfach verlängerte Aufenthaltsgenehmigung für Peter Edel, Military Government, U.S. Army, 1945-1946, Nr. 1004